Ausbau

Das chilenische Beispiel machte in Südamerika offenbar schnell die Runde. Am 13. April 1934 nahm der „Amtsleiter für Aufklärung“ der NSDAP-Landesgruppe Brasilien Kontakt zur Auslands-Organisation der Partei auf, wobei er auf den „Auslands-Kommissar für Südamerika“, eben Willi Köhn, Bezug nahm. Dem solle es nach seiner Kenntnis gelungen sein, für Chile und Argentinien eine große Auswahl an Schallplatten „zu einem billigen Preis“ zu erhalten, „wobei auch das Propagandaministerium noch einen großen Teil der Kosten übernommen“ habe. Das Interesse des Amtsleiters richtete sich dabei in erster Linie auf jene „sehr große Anzahl von Grammophon-Platten“, die die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft „von ihren gesamten Funksendungen“ anfertige. „Eine größere Menge“ dieser RRG-Aufnahmen, so hieß es, seien gut für einen Einsatz in ausländischen Langwellenstationen geeignet. Eine derartige Verbreitung etwa im Rahmen von „deutschen Musikstunden“ oder in ähnlicher Form würde bei den „hiesigen Radio-Besitzern sicherlich einen guten Eindruck machen“, weshalb die aus Brasilien übermittelten Begehrlichkeiten einen erheblichen Umfang hatten. Man möge doch „eine gewisse Anzahl“ an Schallplatten – „ungefähr 5.000“! – nach den bei der RRG vorliegenden Mustern herstellen und über den Ozean schicken.[1] Die zu diesem Zeitpunkt noch in Hamburg residierende Reichsleitung der NSDAP-AO leitete die Bitte aus Rio de Janeiro am 22. Mai 1934 an das RMVP weiter, wo sie tags darauf in der Abteilung VII eintraf. Diese erklärte ihre Bereitschaft, den Wunsch mit 1.000 RM zu unterstützen, bat zugleich aber darum, sich hinsichtlich der geeigneten Auswahl mit der für die RRG zuständigen Abteilung III im Hause zu verständigen. Von der erbat die NSDAP-AO dann am 15. Juni 1934 die Zusendung der „seemäßig verpackten“ Lieferung nach Hamburg, von wo aus die „Weiterleitung“ nach Rio erfolgen werde.

Die steigende Nachfrage erforderte bald klarere innerministerielle Strukturen. Am 14. Juni 1934 hielt der zuständige Sachbearbeiter der Abteilung VII in einer Aktennotiz fest, dass sich „in letzter Zeit“ die Zahl der „Anträge unserer Auslandsdeutschen (Landes- und Ortsgruppen der NSDAP, reichsdeutsche Vereine usw.) auf Überlassung von Schallplattenmaterial – Rede des Führers, Dr. Goebbels, SA-Lieder, Volkslieder, klassische Musik – die zur Vorführung in geschlossenen Veranstaltungen unserer Auslandsdeutschen und zur Übertragung durch ausländische Sender (im Rahmen von ‚deutschen Stunden‘) gelangen sollen“, erheblich erhöht habe. Aufgrund dieser aus seiner Sicht positiven Entwicklung gedachte das Propagandaministerium umgehend weitere Schritte einzuleiten: „Ich bin der Ansicht, dass der Gedanke, auf diesem Wege unser nationalsozialistisches Ideengut zu Gehör zu bringen, besondere Aufmerksamkeit und Förderung verdient.“ Um das zu gewährleisten, erklärte sich die Abteilung VII zu einer hausinternen Kooperation mit der für den gesamten Rundfunksektor verantwortlich zeichnenden Abteilung III bereit. Weil sie damit auch die Reichssendeleitung kontrollierte, die ihrerseits zu dieser Zeit über den weitaus größten Teil des für die Auslandspropaganda erforderlichen Schallplattenmaterials verfügte, regte Abteilung VII eine engere Kooperation der drei Dienststellen an. Hiervon ausgeklammert werden sollten Auswahl und Versand von Platten, „die lediglich musikalische Darbietungen“ enthielten. Hiermit, so hieß es abschließend in der Aktennotiz, sei zwischenzeitlich bereits der in der Reichsmusikkammer (RMK) tätige Referent Friedrich (?) Martin beauftragt worden.[2]

Fußnoten

[1] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 46. Das Folgende nach Bl. 43ff.

[2] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 48. Der Vorname ist noch nicht zweifelsfrei geklärt. Es dürfte sich bei der betreffenden Person aber mit hoher Wahrscheinlichkeit um Friedrich Martin gehandelt haben. Der war in den 1920er Jahren Organist und Musikkritiker in Weimar und galt Anfang der 1930er Jahre als „Fricks Musikfachberater“. (Nina Okrassa: Peter Raabe. Dirigent, Musikwissenschaftler und Präsident der Reichsmusikkammer (1872-1945), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 62 und 147). Ob beide Personen identisch sind, ließ sich jedoch noch nicht endgültig klären. Die „Ära Frick“, d.h. die Dauer der kurzlebigen Thüringer Koalitionsregierung unter Beteiligung von Wilhelm Frick bot laut Martin Thrun einen „grausigen Ausblick darauf, was nationalsozialistische Kunst-, Literatur-, Musik-, Film- oder Schulpolitik in Wirklichkeit bedeutete“. (Martin Thrun: Führung und Verwaltung, S. 111)