Die „Zentralstelle“ als Privatunternehmen?
Neben Martin selbst waren in der „Zentralstelle“ im März 1941 je ein Angestellter für „Sprechaufnahmen“ und „Musikfragen“ beschäftigt. Hinzu kamen drei weibliche Büroangestellte, zwei von ihnen Stenotypistinnen.[1] Die wenig strukturierte und eher zufällig erscheinende Entstehungsgeschichte der Einrichtung war bereits zu diesem Zeitpunkt auch im RMVP selbst offenbar nicht mehr klar nachvollziehbar, so dass ein von der Personalabteilung des Ministeriums angefertigter Vermerk über Bildung und Funktion der Einrichtung eigenartig vage bleiben musste. „Es handelt sich bei dieser Stelle um ein Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die von Herrn Martin seit 1934 unter seiner alleinigen Verantwortung aus Tarnungsgründen privat [!] betrieben wird. Als Geldgeber tritt offiziell die Industrie auf. Tatsächlich hat das Unternehmen keine eigenen Einnahmen. Die Zuschüsse des Ministeriums haben in den letzten Jahren 120.000 bis 180.000 RM betragen, dazu zahlte das Ministerium für Personalausgaben 24.000 RM jährlich.“ Einen weiteren Zuschuss in Höhe von 7.500 RM jährlich habe die Zentralstelle von der „Arbeitsgemeinschaft Musikinstrumentengewerbe“ der RMK erhalten.
Weil die Auflösung der Arbeitsgemeinschaft bevorstand, wünschte Martin, der für seine Arbeit bis dahin monatlich 1.000 RM bezog, offenbar eine Neuregelung zur Finanzierung der Zentralstelle und insbesondere eine feste Verankerung seiner Position im Ministerium. Seitens des RMVP sah man, „nachdem sich 6 Jahre die Stelle in der bisherigen Form doch offenkundig bewährt“ habe, hingegen keinerlei Handlungsbedarf. „Es dürfte somit die Zentralstelle als eigenes Unternehmen des Herrn Martin bestehen bleiben können.“ Daher wollte man ihn keinesfalls zum Angestellten des RMVP machen, sondern ihn vielmehr schriftlich beauftragen, „die Werbung für deutsche Kulturfunksendungen im Ausland wie bisher durchzuführen“.
Auf diesen Vorschlag der Personalabteilung reagierte die Abteilung H des RMVP am 4. April 1941. Die „Zentralstelle für Deutsche Kulturfunksendungen im Ausland“ könne, so wurde mitgeteilt, „nur gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft ‚Reichsmusikkammer-Musikinstrumentengewerbe‘ betrachtet werden, mit der sie personell, sachlich und finanziell“ eng verflochten sei. „Diese Arbeitsgemeinschaft ist zwischen der Reichsmusikkammer einerseits und der Reichsgruppe Industrie, Handwerk u. Handel andererseits geschlossen worden. Sie ist die Verbindungsstelle zwischen Reichsmusikkammer und Musikinstrumentengewerbe, zu der auch die Schallplattenindustrie gehört. Ihre Aufgabe ist die Förderung der kulturellen und musikpropagandistischen Belange des Musikinstrumentengewerbes. Die Zentralstelle dient der Förderung dieser Aufgaben.“ Auf dieser Argumentationsgrundlage sah auch die Abteilung H des RMVP keinerlei Notwendigkeit zu einer Änderung des bisherigen Zustandes, „zumal noch keineswegs feststeht, ob die Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft“ tatsächlich aufhöre. „Vermutlich wird nur eine Kürzung der bisherigen Zuschüsse eintreten.“ Abschließend wurden die Aufgaben der Einrichtung aus Abteilungssicht so zusammengefasst: „Die Zentralstelle befasst sich in Zusammenarbeit mit den deutschen Auslandsvertretungen und den Organisationen der NSDAP mit der Verbreitung deutschen Kulturgutes durch Schallplatten im Ausland und zwar im Auftrag des Ministeriums.“
Der Zuschuss des Ministeriums zur Durchführung dieser Aufgaben hatte im Haushaltsjahr 1940 insgesamt rund 130.000,-RM betragen. Nachdem das Personal der Zentralstelle bis dahin neben dem Leiter Martin aus einem männlichen und zwei weiblichen Angestellten bestanden hatte, sah Abteilung H hier nun „infolge Ausdehnung des Aufgabenkreises durch Vermehrung der Schallplattenarchive und verstärkten Einsatz des technischen Apparates (Herstellung von Schallplattenaufnahmen und Vertrieb der Platten)“ die Notwendigkeit einer „Personalvermehrung“, wodurch sich die jährlichen Ausgaben auf insgesamt etwa 228.000 RM erhöhen würden. Auch die Verantwortlichen der Abteilung H sahen es unter der Voraussetzung, dass eine „Änderung des derzeitigen Verhältnisses nur zu dem Zweck erwünscht“ sei, „die Zentralstelle enger an das Ministerium zu binden“, als hinreichend an, wenn man Zentralstellenleiter Martin „eine schriftliche Auftragserteilung in Form einer vertraglichen Abmachung“ erteilen würde. – Weil die Akte keine weiteren Schriftstücke in dieser Angelegenheit enthält, ist davon auszugehen, dass entsprechend verfahren wurde.
[1] Das Folgende nach BArch Berlin, R55/550, Bl. 232. Es ist möglich, dass das RMVP seinen direkten Einfluss auf die Zentralstelle und damit auf einen wichtigen Aspekt der Auslandspropaganda zunächst ebenso tarnen wollte, wie es das offenbar für die „Auslandsstelle für Musik“ versuchte, die 1934 zunächst ebenfalls als nachgeordnete Stelle der Reichsmusikkammer eingerichtet, aber vom RMVP finanziert wurde, ehe sie 1937 offiziell in dessen Apparat integriert wurde. Goebbels forderte von Beginn an die Ausgliederung der Auslandspropaganda aus dem Auswärtigen Amt und den Zuschlag zu seinem Ministerium, was aber erst später gelang. Vgl. dazu Rainer Sieb: Der Zugriff der NSDAP auf die Musik. Zum Aufbau von Organisationsstrukturen für die Musikarbeit in den Gliederungen der Partei, (Diss.) Osnabrück 2007, S. 137.