Die Produktion von „Sprechplatten“ durch die Deutsche Grammophon
Das Besondere an den „Sendeprogrammen“ war es, dass die von Friedrich Martin geleitete „Zentralstelle“ – nach Aktenlage – in Zusammenarbeit mit der Deutschen Grammophon bzw. deren Label „Polydor“ sehr bald damit begann, Wortbeiträge selbst zu produzieren und hierfür nicht mehr auf Sendematerial der RRG zurückzugreifen, das diese aufgezeichnet und ebenfalls auf Platte gepresst hatte. Ab dem „Sendeprogramm 6“ fand dieses neue Verfahren Anwendung, das den unmittelbaren Einfluss der „Zentralstelle“ auf die Inhalte deutscher Auslandspropaganda sicherlich erhöht haben dürfte.[1] Damit wurde die Deutsche Grammophon auch in dieser Hinsicht zum engen Kooperationspartner der zwischenzeitlich ja auch offiziell ins Leben gerufenen „Zentralstelle für Deutsche Kultursendungen im Ausland“. So teilte Friedrich Martin Propagandaminister Goebbels mit Schreiben vom 28. September 1934 höchstselbst mit, dass er - am selben Tage! - „im Einvernehmen mit der Auslandsorganisation der NSDAP“ für die deutschen Sendestunden im Ausland die Ansprache „Der Arbeitsdienst im Leben des deutschen Volkes“ mit Müller-Brandenburg für das „Sendeprogramm 11“ aufgenommen habe. Danach entwickelte sich aus diesen Wortproduktionen im Laufe der Zeit dann offenbar ein gänzlich neuer Geschäftszweig für die Deutsche Grammophon und deren Label „Polydor“.
Martin hatte offenbar schnell erkannt, dass die bis dahin verwandten Redebeiträge aus dem Archiv der RRG als Format für die „Deutschen Stunden“ wenig geeignet waren.[2] Die RRG schnitt Live-Übertragungen zumeist auf Platte mit, so dass die Aufnahmen hinsichtlich ihrer Länge das Sendeformat der „Deutschen Stunden“ deutlich sprengten. Außerdem hatten solche Beiträge in aller Regel einen konkreten aktuellen Bezug, so dass sie sich als „Konserve“ für sehr viel später ausgestrahlte Sendungen im Ausland als wenig geeignet erwiesen. Was man brauchte, waren allgemein gehaltene und überschaubar lange Wortbeiträge zu einzelnen wichtigen Themen, die man anschließend ohne Aktualitätsbezug der (deutschen) Hörerschaft im Ausland per Rundfunk[3] oder im Rahmen von Veranstaltungen der NSDAP-Auslandsorganisation, deutscher Vereine oder deutscher Schulen zugänglich machte.
Am 11. Juli 1935 definierte der Leiter der Zentralstelle die Aufgaben der „Sprechplatten“ in einem Schreiben an Pg. Dr. Berger in Santiago de Chile so: „Durch die Wiedergabe der Sprechplatten soll erreicht werden, dass jeweils die verantwortlichen Leiter oder Sachbearbeiter über diesen Weg zu unseren Volksgenossen im Ausland sprechen. Wir glauben hier, dass eine derartige Ansprache sehr viel eindrucksvoller sein muss, als wenn ein Manuskript, das aus der Feder der leitenden Persönlichkeit stammt, durch irgendeinen dort bekannten Sprecher wiedergegeben wird. Der Auslandsdeutsche soll die Gewissheit erhalten, dass wir hier in der Heimat bestrebt sind, mit ihm engste Fühlung herzustellen. Sollten bei einer Wiedergabe derartiger Platten in deutscher Sprache infolge der Zensurbestimmungen oder sonstiger Einwirkungen Schwierigkeiten entstehen, so bleibt immer noch die Möglichkeit, diese Platten in den Zellenveranstaltungen oder in Zusammenkünften von Vereinen oder dgl. zu verwenden. Über die Auswirkung einer derartigen Arbeit liegen aus Argentinien Berichte vor, die zeigen, dass diese Gedankengänge zu Recht bestehen. Für das laufende Jahr werden Sie noch eine Reihe von Vorträgen erhalten, die Sie bei Ihrer Arbeit draußen wirkungsvoll unterstützen können. Es ist naturgemäß Ihre Sache, die gegebenen Mittel einzusetzen.“[4]
Da es zuvor ein solches Format aber nicht gab, musste es im Sommer 1934 in Zusammenarbeit von „Zentralstelle“ und Deutscher Grammophon offenbar zunächst völlig neu entwickelt werden, wobei der bereits erwähnte Beitrag über den Arbeitsdienst ein gutes Beispiel aus der Anfangszeit dieser Kooperation darstellt. Er wurde am 28. September 1934 im Studio der Deutschen Grammophon in der Lützowstraße 111 in Berlin aufgenommen und stellte laut der firmeninternen Aufnahmeprotokolle eine der ersten Sprachaufnahme des Unternehmens für die „Zentralstelle“ dar.[5] Danach folgten dann bis Ende 1936 weitere solcher Produktionen in schneller Folge
Ein Blick auf die Aufnahmeprotokolle der Deutschen Grammophon zeigt, dass mit deren Hilfe gerade den im Ausland lebenden Deutschen ein umfassendes Bild vom Aufbau und Wollen des „Neuen Staates“ und seiner Protagonisten vermittelt werden sollte. Kultur, (Jugend-) Erziehung, Arbeitsdienst, Frauenwerk, die neue Ausrichtung der Arbeit einzelner Industriezweige (z.B. Autoindustrie) oder Berufsgruppen (z.B. Ärzte) und vieles mehr wurde von hochrangigen Vertretern einzelner Einrichtungen oder anderen prominenten Repräsentanten des „Neuen Deutschland“ auf Schallplatte gesprochen und in alle Welt verschickt. Dabei wurde, wie bereits erwähnt, zumeist bewusst auf Aktualität verzichtet, um die auf Schallplatten gepressten Tonkonserven angesichts langer Versandzeiten möglichst langfristig einsetzen zu können.[6]
Ein auf den 13. Juni 1935 datiertes „Sprechplatten-Verzeichnis“ der Zentralstelle gibt einen Überblick über die bis dahin auf Schallplatte produzierten und in Umlauf gebrachten Redebeiträge.[7] Aus den mitaufgeführten Matrizen- und Bestellnummern sowie die Angabe der Aufnahmeprotokolle lässt sich die Herkunft der jeweiligen Aufnahmen recht genau nachweisen. In der Mehrzahl handelte es sich um von der Zentralstelle in Auftrag gegebene und unter dem „weißen Label“ der „Polydor“ verbreitete Produktionen der Deutschen Grammophon, die den firmeninternen Aufnahmeprotokollen „gg“, „gn“ und „go“, später außerdem „ gd“ und „gr“ zuzuordnen waren. Ergänzt wurden die „Sprechplatten“ um Aufnahmen der RRG, die aber ebenfalls unter dem Auslandslabel „Polydor“ von der Deutschen Grammophon gepresst und vertrieben wurden.
Insgesamt besorgte die Deutsche Grammophon für die „Zentralstelle für deutsche Kulturfunksendungen im Ausland“ sowohl Überspielungen von bereits bestehenden Aufnahmen (darunter solche von Tonfilmschlagern, russischen Chören, Geräuschplatten u.a.) als auch – als Haupttätigkeit - Neuaufnahmen. Letztere umfassten neben einer breiten Palette von Sprechplatten mit Propagandatexten, Dichterlesungen, Sprechübungen und Hörspielen auch Schallplatten mit Musik.[8]
[1] Die beiden frühesten nachgewiesenen Produktionen, die die Deutsche Grammophon in dieser Hinsicht ausführte waren die Redebeiträge „Reichsschrifttumskammer“ von deren Präsident Hans Friedrich Blunk (Sendeprogramm 6), „Der neue Deutsche Mensch“ von NSDAP-Reichsschulungsleiter und M.d.R. Otto Gohdes (Sendeprogramm 7) sowie „Wesen und Aufbau des deutschen Sports“ von Arno Breitmeyer, dem Stellvertreter des Reichssportführers (Sendeprogramm 8). Auch für die Sendeprogramme 3 und 5 waren bereits Wortbeiträge zum Einsatz gekommen, die sich mit der Reichsmusikkammer beschäftigten (Heinz Ihlert -Geschäftsführer der Reichsmusikkammer: „Die Organisation der Reichsmusikkammer“ und Dr. Max Burghardt: „Reichsmusikkammer und Volksmusik“). Hierbei handelte es sich offenbar jedoch nicht um Produktionen der Deutschen Grammophon. Der Hintergrund von deren Entstehung bleibt bislang im Dunkeln, scheint aber auf organisationsinternen Strukturen der Reichsmusikkammer zu basieren. Vgl. BArch Berlin, R 55/1190, Bl. 50
[2] Ausnahmen blieben jedoch bestehen, so die von der RRG produzierte und aufgezeichnete „Buchfunk“-Serie sowie Sendungen wie „Sven Hedin spricht“, „Das Olympia-Stadion“ von Dr. Eduard Meckel oder „Frühling an der Bergstraße“ von Christa Linden. Vgl. etwa BArch Berlin, R55/1189, Bl. 231, R 55/1190, Bl. 51 oder R 55/1191, Bl. 19. Vgl. dazu unten
[3] Einige wenige Beiträge, die vorwiegend Themen des internationalen Handels tangierten, wurden – mit deutschen Sprechern! – auch in Spanisch und Englisch produziert.
[4] BArch Berlin, R 55/1190, Bl. 96
[5] Vgl. hierzu den Aktenordner mit den Aufnahmelisten „gn“ und „go“ im Firmenarchiv der Deutschen Grammophon. Diese Protokolle enthalten Angaben zu Musikaufnahmen sowie zu einer Reihe von Aufnahmesitzungen für Sprechplatten mit Propagandatexten aus den Jahren 1934 bis 1936. Den „Gedenkspruch“, der von Hugo Rasch, dem stellvertretender Reichsführer des Berufsstandes der deutschen Komponisten gesprochen wurde, führte die Nummern „go 245“ und „go 246“, die Rede von Hermann Müller Brandenburg üder „Der Arbeitsdienst im Leben des Deutschen Volkes“ die „go 247“ und „go 248“. In den vier Monaten zwischen Mai und September 1934 dürften somit – zumindest für diese Aufnahmeliste - keine weiteren Sprachaufnahmen stattgefunden haben. Früher getätigte Aufnahmen erfolgten im Auftrag anderer Firmen oder von Privatpersonen. Vgl. Fetthauer, Grammophon, S. 137 und 139f.
[6] Fetthauer, Grammophon, S. 140, charakterisiert die Aufnahmen folgendermaßen: „In den Aufnahmeprotokollen sind Einspielungen zu einzelnen Städten, Ausstellungen, Künstlern und Industriezweigen, zur medizinischen und technischen Entwicklung in Deutschland, zu Organisationen wie der Reichsschrifttumskammer, der Reichskammer der bildenden Künste, der Deutschen Arbeitsfront, dem Arbeitsdienst, der Hitlerjugend, dem Bund Deutscher Mädel, dem Reichsmütterdienst, zu Luftschutz- und Verdunklungsübungen, aber auch Aufnahmen mit Dichterlesungen, Weihnachtsansprachen und sogenannte ‚Dialektstudien‘ überliefert. Einen breiten Raum nehmen außerdem Aufnahmen zu ideologischen Fragestellungen ein, wie etwa die Aufnahmen Grundsätze des Nationalsozialismus und Christentum und Drittes Reich, sowie Aufnahmen zu aktuellen Ereignissen wie der „Saarlandkampagne“, den Olympischen Spielen von 1936, dem sogenannten ‚Kairoer Judenprozess‘ und dem Prozess gegen den Mörder des Landesgruppenleiters der Auslandsorganisation der NSDAP in der Schweiz, Wilhelm Gustloff. Die ‚Saarlandfrage‘ ebenso wie die Olympischen Spiele von 1936 wurden von den Nazis in besonderer Weise für propagandistische Rundfunkkampagnen ausgeschlachtet. Diese Sendungen über das Saarland mündeten 1934 in eine systematische, von Goebbels initiierte Rundfunkkampagne. Aus diesem Jahr stammen auch die ersten Aufnahmen der Deutschen Grammophon zu dem Thema, wie beispielsweise die Aufnahmen ‚Ein Saarländer spricht zur Saarfrage‘, ‚Die historische Bedeutung der Saarabstimmung‘ und ‚Die Saar als Friedensbrücke‘.“ Außerdem betont sie, dass keine „Aufnahmen mit höher gestellten Nazi-Funktionären“ erhalten seien. Konkreter dürfte es heißen, dass solche nie erstellt wurden, weil sie aufgrund der fehlenden Aktualität und der Grundintention der Aufnahmen und der aufzubauenden Schallplattenarchive im Ausland wohl eher als unpassend empfunden wurden.
[7] BArch Berlin, R 55/1190, Bl. 50-52
[8] Vgl. Fetthauer, Grammophon, S.. 146f.