Die „Sendeprogramme“ der „Zentralstelle“

Die beiden Komponenten der von Friedrich Martin entwickelten „Sendeprogramme“, also Musikauswahl und Wortbeitrag, mussten offenbar nicht zwingend in innerem Zusammenhang stehen. So stand das „Sendeprogramm 23“ Mitte November 1934 unter dem Motto „Instrumentalmusik der Oper“ und bediente die Zuhörer im Ausland[1] tatsächlich auch mit Ouvertüren, Vorspielen und Ballettmusik von Wagner, Händel, Mozart, Richard Strauß und Smetana, während der vom Referenten bei der Reichsschrifttumsstelle Edgar Diehl gehaltene Vortrag „Dichter auf dem Scheiterhaufen“ so gar nicht mit diesem Musikprogramm harmonieren wollte.[2] Einer offensichtlichen Dramaturgie folgte hingegen das „Sendeprogramm Nr. 24“, das Anfang Dezember 1934 nach Südamerika verschickt wurde. Unter dem Motto „Musik im Arbeitsdienstlager“ begann es mit vier Liedern: „Deutscher Kampf im Lied (SA-Potpourri)“, „Märkische Heide“ (Marschlied), „Jugend will marschieren“ und „Märkische Mädel“ (Wanderlieder für Chor) sowie „Frisch wie kühles Morgengrauen“ und „Lied der deutschen Arbeit“, auf die dann die Ansprache „Unser Arbeitsdienst“ von Konstantin Hierl folgte, der damals noch als Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium fungierte, ehe er im Juni 1935 zum „Reichsarbeitsführer“ ernannt wurde. Danach folgten sieben weitere kurze Musikstücke, die weniger martialisch waren und eher der Unterhaltung und Entspannung dienen sollten.[3] – Dies nur zwei Beispiele aus vielen.

Das Modell der „Deutschen Sendestunden im Ausland“ funktionierte offenbar gut. Am 18. Dezember 1934 beantragte Friedrich Martin daher beim RMVP (Abteilung IX), weitere Mittel für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Die meisten Auslandsgruppen der NSDAP, die bislang solche Sendungen durchführen würden, so argumentierte er, müssten sich „z.T. mit sehr unvollkommenen Materialien“ behelfen. „Es wird jetzt zu entscheiden sein, ob die regelmäßige Zustellung von Sendeprogrammen der Zentralstelle nach dem Vorbilde von Montevideo durchgeführt werden kann.“ Hierfür seien bei der aktuellen Anzahl von acht interessierten Gruppen monatlich mindestens 400 RM aufzubringen. „Da die Einstellung der Sendestunden in den betroffenen Gebieten sehr nachteilige Folgen nach sich ziehen würde“, bat der Zentralstellen-Leiter das RMVP um baldige Bewilligung der Mittel.[4] Das Vorhaben stieß im Ministerium zumindest zu diesem recht frühen Zeitpunkt offenbar noch nicht auf uneingeschränkte Begeisterung, denn Anfang Februar 1935 sah sich Martin in einem weiteren Schreiben veranlasst, seine finanziellen Ansprüche zumindest temporär zurückzuschrauben, woraufhin sein Anliegen bewilligt wurde.[5]

Anschließend traten die Verantwortlichen dann offenbar in intensivere Verhandlungen über die weitere Gestaltung und finanzielle Ausstattung des Projekts im Haushaltsjahr 1935/36 ein. Im Rahmen der Gespräche wurde Martin seitens der zuständigen Abteilung IX des RMVP am 19. März 1935 mitgeteilt, dass man angesichts der „verfügbaren geringen Mittel“ beabsichtige, für „größere Bezirke“ jeweils nur ein zentrales „Schallplatten-Archiv“ anzulegen, „von dem aus die einzelnen Anforderungen seitens der verschiedenen Gruppen befriedigt werden sollen“. Das bedeutete, dass für acht süd- und mittelamerikanische Länder[6], in die zu jenem Zeitpunkt Platten versandt wurden, zur Einsparung von Kosten lediglich ein zentrales Archiv in Buenos Aires eingerichtet werden sollte. Gegen dieses Konzept versuchte die Zentralstelle möglichst viele Argumente zusammenzutragen, die mit technischen Bedenken begannen. Das Gewicht der Tonabnehmer-Arme, die seitens der Sendeanstalten eingesetzt würden, sei derart hoch, dass die empfindlichen Platten schnell abgenutzt würden und bereits nach zwanzigmaliger Wiedergabe nicht mehr einwandfrei funktionieren würden. Wichtiger waren aber inhaltliche Erwägungen: „Es muss besonders hervorgehoben werden, dass die Platten wohl zunächst für die Deutschen Stunden, die von den Auslandsdeutschen mit Hilfe der lokalen Sender eingerichtet wurden, verwendet werden. Darüber hinaus jedoch werden die Schallplatten benutzt, um in Versammlungen der Parteistellen, der Nebenorganisationen und Vereine deutsches Kulturgut wiederzugeben.“[7] Dieser propagandistische Mehrwert, so das Hauptargument, würde bei Einrichtung eines einzigen Zentralarchivs „den örtlichen Vertrauensleuten die notwendige Bewegungsfreiheit“ nehmen und damit „den Erfolg dieser Kulturarbeit in Frage“ stellen. Um das zu verhindern, regte Friedrich Martin an, Südamerika in sechs und Mittelamerika in zwei „Bezirke“ aufzuteilen und in jedem von ihnen ein Schallplatten-Archiv aufzubauen. Die jährlichen Kosten veranschlagte er für jeden Bezirk auf 360 RM, so dass pro Jahr 2.880 RM zur Unterhaltung der acht dezentralisierten Schallplattenarchive in Süd- und Mittelamerika aufzuwenden seien. Tatsächlich stimmte das RMVP diesem Antrag zu und bewilligte mit Schreiben vom 24. April 1935 die notwendigen Haushaltsmittel.[8]

Danach entwickelten sich die „Deutschen Stunden“ und die zu ihrem Betrieb aufgebauten Schallplatten-Archive offenbar in der Tat zu einem erfolgreichen Modell. Im Frühjahr 1935 traf „durch Vermittlung des Deutschen Kurzwellensenders“ eine auf den 7. März 1935 datierte Bitte von Pastor Robert H. Ischinger von der St. John’s German Lutheran Church aus Reading in den USA in der Zentralstelle ein. Weil man auch in Reading über einen „deutschen Rundfunk“ verfüge, fragt er nach der Möglichkeit von Plattenlieferungen aus Deutschland. „Wir möchten besonders deutsche Musik, auch deutsche Kirchenlieder auf diese Weise über unseren Sender verbreiten.“[9] Friedrich Martin leitete diesen Wunsch unter dem Betreff „Antrag zur Beschaffung von Musikschallplatten für Unterhaltung von Deutschen Stunden in den Vereinigten Staaten (Pennsylvania und New York) am 4. Mai 1935 an die zuständige Abteilung IX im RMVP mit der Bemerkung weiter, dass auch die deutsche Botschaft in Washington „die Verbindung mit Pastor Ischinger im Rahmen der Bestrebungen der Zentralstelle begrüßt und für ausbaufähig hält“. Martin fügte hinzu: „Angesichts der großen Schwierigkeiten, in den Vereinigten Staaten systematische Kulturarbeit zu leisten, ist besonders zu beachten, dass der Einfluss der kirchlichen Stellen in den Vereinigten Staaten für unsere Kulturarbeit ein wertvoller Wegbereiter sein kann.“ Er würde es daher für sehr begrüßenswert halten, wenn „die sich hier bietenden Möglichkeiten ausgenutzt werden“ könnten.[10] Das sah man im RMVP ähnlich und stimmte dem Vorhaben am 1. Juni 1935 zu.[11] Daraufhin konnte die Zentralstelle das Deutsche Generalkonsulat in New York am 15. Juni 1935 über die „Einrichtung eines Schallplattenarchivs für die Staaten Pennsylvania und New York“ zur „Durchführung deutscher Kulturarbeit und zur entsprechenden Verwendung in Gemeinschaftszwecken“ in Kenntnis setzen. Als Leiter wurde der in Beechhurst wohnhafte Hans Georg Koepp eingesetzt; Standort des Archivs sollte das Generalkonsulat sein.[12]

Fußnoten

[1] Das Programm wurde am 19.11.1934 über die Deutsche Gesandtschaft in Uruguay an die „Sendeleitung der deutschen Stunde Montevideo“ verschickt. Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 80

[2] Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 85

[3] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 106

[4] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 176

[5] Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 177f.

[6] Nach einer dem Schreiben beigefügten Aufstellung wurden für diese Länder insgesamt 834.000 Auslandsdeutsche aufgeführt, die durch Rundfunk und Propagandaveranstaltungen potenziell zu erreichen seien. Am 4. Februar 1935 wurden folgende acht Deutsche Gesandtschaften aufgelistet, an die bis dahin Material für „Deutsche Stunden“ versandt wurden: Buenos Aires, Montevideo, Rio de Janeiro, Asunción, Bogota, Mexico City, Quito und Santiago de Chile. Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 90

[7] Die Deutsche Gesandtschaft in Buenos Aires bestätigte dem RMVP in einem (offenbar verspäteten) Schreiben am 15.6.1935 die Bedeutung der bisherigen Auslandsarbeit mit Schallplatten: „Den Antrag der Zentralstelle für Deutsche Kultursendungen im Ausland über Bereitstellung von Mitteln im Etatjahr 1935/36 für die Unterhaltung von Schallplatten-Archiven im Ausland muss ich auf das wärmste befürworten, da die Rundfunksendungen in Südamerika ein wichtiger Faktor in der Aufklärung über das neue Deutschland und in der Werbung für deutsche Kultur geworden sind. (...) Die bislang nach Südamerika gelangten Schallplatten sind nicht nur für Rundfunksendungen angesetzt worden, sondern haben darüber hinaus in den Versammlungen der NSDAP, ihren Nebenorganisationen, in den deutschen Vereinen und besonders in den deutschen Schulen zur Verbreitung deutschen Kulturgutes wertvollste Dienste geleistet. Der Ausbau der Schallplatten-Belieferung nach Südamerika muss daher anempfohlen werden.“ Unterzeichnet war das Schreiben von dem als Attaché der Gesandtschaft fungierenden Willi Köhn, der den Platteneinsatz auf dem Kontinent ja 1934 wesentlich mit initiiert hatte. (BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 229)

[8] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 218-227. Die Deutsche Gesandtschaft in Asunción (Paraguay) wurde auf eigene Bitte Ende 1934 auch in den Verteiler jener Länder aufgenommen, in denen eine „Deutsche Stunde“ im Rundfunk ausgestrahlt wurde. Am 10. Januar 1935 ging im Auswärtigen Amt in Berlin ein Schreiben der Gesandtschaft in Paraguay ein, in dem es hieß: „Die Arbeit der ‚Deutschen Stunde‘ am hiesigen Ort stellt sich nach wie vor als eine wertvolle Bereicherung des deutschen kulturellen Lebens in der paraguayischen Hauptstadt und gleichzeitig als ein beachtenswertes Werbemittel für Deutschland unter den hiesigen Einheimischen dar.“ Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 129: Schreiben RMVP (Klaus) an Gesandtschaft in Asunción, 8.1.1935 und ebenda, Bl. 143.

[9] BArch Berlin, R 55/1189, B. 254. Im beigefügten Exemplar des „St. Johannis-Boten“ (Bl. 244ff., hier: Bl. 245R) wird darüber berichtet, dass „deutsche Morgengottesdienste“ und der „deutsche Ostergottesdienst“ über den Lokalsender WEEU ausgestrahlt würden.

[10] BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 243

[11] Vgl. BArch Berlin, R 55/1189, Bl. 255

[12] BArch Berlin, R 55/1190, Bl. 47