„Meine Mutter hat mich nur versteckt.“ - Ein besonderer „Freund“

Hannelore Beulen erzählt eine sehr spezielle Geschichte, die sie bis heute verschwiegen, damals aber sowohl sie selbst und ihre Mutter in tiefste Angst versetzt hat. „Da lacht manch einer vielleicht drüber. Das glaubt mir gar keiner“, bringt sie auch heute noch ihre Verunsicherung zum Ausdruck.

In der Unterkunft der Bandemers erscheint regelmäßig ein russischer Offizier, der von der zehnjährigen Hannelore offensichtlich sehr angetan ist. Zuvor hat er in anderen Familien Kindern Kleidungsstücke und Spielzeug abgenommen, um sie anschließend nun Hannelore zu schenken. „Der mochte mich.“ Auch die Familie profitiert von der eigenartigen Verbundenheit, denn der Besucher bringt häufig auch etwas zu Essen mit. „Das war für uns sehr wichtig.“

Die Vernarrtheit des Soldaten nimmt jedoch bedenkliche Ausmaße an, und Erna Bandemer versucht, ihre Tochter vor ihm zu verstecken. Immer wenn der gekommen sei, so Hannelore Beulen, sei sie schnell ins Bett geschickt und damit dem Zugriff entzogen worden. Weil der Russe aber stark um sie besorgt gewesen sei, habe er es nie gewagt, ihren angeblichen Schlaf zu unterbrechen, sondern habe die Wohnung tatsächlich umgehend wieder verlassen.

Eines Tages äußert er gegenüber einer Russisch sprechenden Bewohnerin seine tiefergehenden Absichten: Er müsse nun zunächst noch nach Berlin, wo die letzten Kämpfe des Weltkrieges stattfinden würden. Nach dessen Ende und seiner Rückkehr aber, so kündigt er an, werde er Hannelore mit nach Russland nehmen und von seiner Mutter erziehen lassen, um sie anschließend zu heiraten. „Das hat der im Ernst gesagt, und meine Mutter hat mich nur noch versteckt.“ Mit bangem Herzen warten die Bandemers nach der deutschen Kapitulation auf die Rückkehr des eigenartigen Verehrers, der sie – darin ist sich Hannelore Beulen auch heute noch sicher – wohl tatsächlich mitgenommen hätte, „denn er hätte dazu ja die Macht gehabt“. Aber: „Alle kamen zurück, nur er nicht. Und das war wahrscheinlich meine Rettung.“