„In einer halben Stunde müssen Sie hier weg sein!“ - Besatzung und Vertreibung

Die Rote Armee, so Werner Schuh, habe sich im Frühjahr 1945 im Sudetenland lediglich „auf der Durchreise“ befunden. Danach hätten die Tschechen – „vor allem der Pöbel“ - in seinem Heimatdorf „das Kommando übernommen“. „Das waren ja viele Jugendliche, die da gewütet haben.“

Die Schuhs dürfen zunächst zwar weiterhin auf ihrem Hof wohnen, es wird aber ein junger Verwalter eingesetzt, der dort das alleinige Sagen hatte. Als dann die Ernte eingeholt werden muss, werden die zurückgebliebenen Deutschen zur Mitarbeit verpflichtet. „Und als das dann vorbei war, mussten wir weg.“

 

Am frühen Morgen seien eines Tages uniformierte und bewaffnete Tschechen auf dem elterlichen Hof erschienen. „In einer halben Stunde müssen Sie hier weg sein mit 20 Kilo Gepäck!“ Sämtliche deutsche Familien in Pressern, die über Grundbesitz verfügen, müssen sich in der Dorfschule einfinden, wo das ohnehin schon geringe Gepäck einer gründlichen Durchsuchung unterzogen wird. „Da haben sie uns noch das Beste weggenommen. Sie können sich vorstellen, was dann noch übrig war.“ Familie Schuh nutzt zum Transport der verbliebenen Habe einen Handwagen, ein Weihnachtsgeschenk der Kinder, dessen Nutzung bewilligt wird.

Begleitet von einem einzigen Pferdefuhrwerk für die Kleinkinder und das Gepäck müssen die letzten sechs oder sieben noch verbliebenen deutschen Bauernfamilien Pressern und damit ihr Eigentum verlassen. Der Weg führt zu Fuß in die Kreisstadt Saaz, wo die Gruppe mit anderen Vertriebenen in einem Barackenlager mit vierstöckigen Betten untergebracht wird. Werner Schuh vermutet, dass das Lager der deutschen Seite zuvor wohl der Unterbringung von Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern gedient hat. „Da blieben wir dann acht Tage. Und es hieß dann jeden Tag zwei oder drei Mal: ‚Alle raus auf den Platz!‘“ Dort warteten dann bewaffnete Tschechen, die nicht davor zurückschreckten, insbesondere die Kinder verschreckende Warnschüsse abzugeben. Häufig, so Werner Schuh, hätten die Inhaftierten dann mehrere Stunden auf dem Platz stehen müssen.

Mit Lebensmitteln ist die Familie zu diesem Zeitpunkt noch recht gut versorgt, weil man ausreichend Brot, Milch und andere Nahrung mitgenommen hat. Das erweist sich als richtig und wichtig, denn die Versorgung im Lager ist völlig unzureichend. „Das war alles nicht das Wahre. Das war mehr Wassersuppe als sonst was. Das war nicht schön.“ Wenn dann abends das Licht gelöscht worden sei, so Werner Schuh weiter, seien die Wanzen in den Etagenbetten aus allen Ritzen über die Bewohner hergefallen.

Nach der Registrierung werden die Lagerinsassen nach acht Tagen zum Bahnhof befohlen, wo sie auf offene Kohlewaggons verladen werden, in denen sie anschließend das Sudetenland verlassen.