Die 1920er Jahre waren ein Jahrzehnt aufstrebender Jugendgruppen und von deren Organisationen. Ob konfessionell, politisch oder bündisch orientierte Gruppen: sie nahmen erheblich an Größe zu, gewannen deutlich an Selbstvertrauen und traten mit Beginn der 1930er Jahre zunehmend formiert und uniformiert auf. Nach 1933 beanspruchte dann die Hitlerjugend den Alleinvertretungsanspruch für den Jugendbereich, während alle anderen Gruppierungen nach und nach verboten wurden. Das rief schließlich – und besonders im Krieg - die Gruppen unangepasster Jugendlicher auf den Plan.
Nach dem Preußischen Kulturkampf und dem Erstarken der proletarischen und bürgerlichen Jugendbewegung rang die katholische Kirche um die Rückgewinnung ihres Einflusses auf die Jugend. In diesem Zusammenhang kam es im Juli 1919 auf Initiative des Jesuitenpaters Esch durch den Kölner Kardinal von Hartmann zur Gründung des „Bundes Neudeutschland", der die außerschulische kirchliche Betreuung von Gymnasiasten vorsah. Der Name sollte auf die beabsichtigte Mitarbeit bei der Erneuerung Deutschlands nach der Kriegsniederlage hinweisen.
Die Organisation war "von oben" gegründet worden und sah vor, dass die Religionslehrer der höheren Schulen ihrerseits Ortgruppen gründen und leiten sollten. Allerdings entfaltete das Verbandsleben unter dem Einfluss der Jugendbewegung eine Eigendynamik. Nach langen Diskussionen wurde Anfang der 1920er Jahre die Rolle der Religionslehrer/Geistlichen insofern verändert, als sie künftig weniger Führer, sondern Partner und Berater der Schüler sein sollten. Auch das Gruppenleben wurde von den Ideen und Ausdrucksformen der Jugendbewegung geprägt: Neben Gemeinschaftsgottesdiensten standen beispielsweise Fahrten, Treffen auf Burgen, Lagerfeuerromantik und das gemeinsame Singen von Liedern auf der Tagesordnung. Im Unterschied zur freien Jugendbewegung wurde aber Christus als Führer und Haupt der Kirche in den Vordergrund gestellt. Der Kompromiss zwischen Christentum und Selbstbestimmung schlug sich im Leitsatz Neudeutschlands "Lebensgestaltung in Christus in uns und in unserer Umwelt" nieder.[1]
Im Oktober 1927 zählte der Bund reichsweit in seinen fünf „Marken" mit 36 „Gauen" und 386 Gruppen rund 14.000 Mitglieder, von denen etwa 5.000 „Sekundaner", und 1.000 „Primaner" waren. Die Bundesleitung schätzte zu diesem Zeitpunkt die Aussichten des Bundes als „günstig" ein. Dabei wurde eine „Verwirklichung des so genannten Pfadfindertyps" angestrebt. Neben ihrer „tiefen Innerlichkeit des religiösen Lebens" sollten sich die Bundesmitglieder dabei durch „Natürlichkeit, Einfachheit, frische Aufgeschlossenheit" auszeichnen. Dann könne sich Neudeutschland auf Dauer zum „Sammelbecken der ernst gerichteten studierenden katholischen Jugend" entwickeln.[2]
Dass gerade auch im Bund Neudeutschland im Jahre 1933 dann eine Begeisterung für den „neuen" Staat vorhanden war, zeigt schlaglichtartig die Reaktion der Insassen eines Lagers von Essener Neudeutschen in Bayern. Als im Sommer Adolf Hitler, wenn auch eher zufällig, so doch höchstpersönlich, das Lager besuchte, wurde er mit Begeisterung empfangen, da die Jungen den Besuch als große Ehre empfanden. Innerhalb des Bundes wurde damals durchaus ernsthaft darüber diskutiert, ob nicht eine Eingliederung aller katholischen Jugendgruppen in die HJ eine positive Einflussnahme auf die inhaltliche Arbeit der HJ bewirken könne.[3] Vor allem das gemeinsame Feindbild des Bolschewismus bot einen deutlichen Bezugspunkt zur HJ.
Wie andere Gruppierungen hatte auch der Bund Neudeutschland trotz anfänglicher partieller Zustimmung in den Jahren bis zu seinem Verbot damit zu kämpfen, sich gegenüber der HJ zu behaupten. Einige Mitglieder des Bundes waren fortan im Widerstand aktiv, beispielsweise Willi Graf in der "Weißen Rose" oder Alfred Delp im "Kreisauer Kreis", die beide hingerichtet wurden. Nach 1945 wurde der Bund Neudeutschland wieder ins Leben gerufen.
zuletzt bearbeitet am: 02.03.2022