Die „Zweite Generation“ und die Feldpost der Eltern
Ehe hier umfangreiche, jeweils mit ausführlicher Einleitung versehene Korrespondenzen Brief für Brief einschließlich Transkription zugänglich und nutzbar gemacht werden, soll an drei Beispielen demonstriert werden, wie Angehörige der „Zweiten Generation“[1] - also die Kinder jener, die den Zweiten Weltkrieg damals erlebten und darüber schrieben – mit den diesbezüglichen Nachlässen ihrer Eltern umgegangen sind oder noch immer umgehen.
Es wird dabei deutlich, dass eine aktive Auseinandersetzung mit diesen Schriftstücken oftmals Chancen und Risiken zugleich mit sich bringt, dass daraus Erkenntnisgewinn, aber auch Last erwachsen kann. Dabei sei betont, dass die Auswahl der hier versammelten Protagonistinnen keineswegs auf zuvor festgelegten und empirisch abgesicherten Kriterien basiert, sondern eher zufällig erfolgte. Daher lassen sich die hier versammelten Schilderungen und Erfahrungen sicherlich nahezu beliebig um zahlreiche Nuancen erweitern. Als kleiner erster, sicherlich alles andere als repräsentativer Eindruck sei hier festgehalten, dass es den Anschein hat, als ob es weit eher die Töchter sind, die sich intensiv mit dem Feldpostnachlass ihrer Eltern auseinandersetzen als die Söhne.
Schon die drei hier versammelten Beispiele reichen aus, um zu zeigen, dass es sich nicht nur lohnt, sondern fast schon als Verpflichtung verstanden werden sollte, sich um diese Materialien zu kümmern. Wenn man – aus welchen, sicherlich stets nachvollziehbaren Gründen – vor einer eigenen Beschäftigung damit zurückscheut, sollte man zumindest dafür Sorge tragen, dass solch wichtige historische Quellen nicht der Vernichtung anheimfallen, sondern sorgsam für die Nachwelt aufgehoben werden. Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln nimmt solche Konvolute gern entgegen und bewahrt sie dauerhaft und sicher auf.
[1] Sascha Foerster weist mit guten Gründen darauf hin, dass der von Sabine Bode durch ihre Publikationen populär gemachte Generationen-Begriff auf die Gruppen der „Kriegskinder über die Nachkriegskinder bis hin zu den Kriegsenkeln“ für diese Gruppen „nicht sehr passend“ sei, „da diese sich oft selbst nicht als Generation mit gemeinsamer Identität und gemeinsamen Erfahrungen begreifen“ würden. Vielleicht, so fährt Foerster fort, würden aber gerade Bodes Bücher „erst zum Entstehen dieses Generationengefühls“ führen oder zumindest erheblich dazu beitragen, „was sich daran ablesen lässt, dass diese Selbstzuschreibungen zunehmen“. Sascha Foerster: Die „Generationen“ des Zweiten Weltkriegs: Journalismus (https://zakunibonn.hypotheses.org/1329 [9.5.2018]) Inwieweit die Beeinflussung von Kindern und Enkeln durch die Kriegserlebnisse der Eltern und Großeltern auch Einfluss auf deren spätere Beschäftigung mit deren schriftlichen Hinterlassenschaften aus jener Zeit haben, ist eine interessante Frage, der noch näher nachgegangen werden müsste. So äußerte etwa der 1976 geborene Spiegel-Journalist Matthias Lohre 2016 in einem „Meine Eltern haben mir viele Folgen ihrer Traumata vererbt“ überschriebenen Artikel u.a.: „Der Krieg war in der Familie Tabuthema, und ich hatte bis weit ins Erwachsenenleben eine Botschaft meiner Eltern verinnerlicht: Uns geht es doch gut. Ich dachte: Was bin ich doch für ein undankbares, wehleidiges Kind, wenn ich meine Kindheit hinterfrage. Genau dieser Gedanke hindert Kriegsenkel daran, ihre Familiengeschichte auszugraben.“ (http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/zweiter-weltkrieg-die-folgen-fuer-die-nachkriegskinder-a-1091027.html [9.5.2018])