Feldpost aus dem Zweiten Weltkrieg

Im 21. Jahrhundert, in dem E-Mail, Smartphone und Social Media die Kommunikation dominieren und zu einem allgegenwärtigen, stets verfügbaren und offenbar zunehmend unverzichtbaren Bestandteil des Alltags machen, kann man sich kaum mehr vorstellen, welche Bedeutung der Verständigung durch Briefe einmal zugekommen ist. Insbesondere in Zeiten von langandauernden Trennungen stellte der zumeist handgeschriebene Brief in aller Regel die einzige Möglichkeit dar, mit geliebten Menschen in Kontakt zu bleiben und sich gegenseitig über die jeweiligen Lebensumstände zu informieren.

Das galt in erster Linie für Kriege und hier ganz besonders für die beiden Weltkriege, als die als „Feldpost“ bezeichneten Briefe sowohl an der Front als auch an der – zwischen 1940 und 1945 zunehmend von Bombenangriffen bedrohten – „Heimatfront“ im Wortsinn sehnlichst als „Lebenszeichen“ erwartet wurden. Blieben solche Nachrichten über längere Zeit aus, verhieß das in aller Regel nichts Gutes.

Diese Kommunikationsform bot aber zudem die Möglichkeit, sich über Alltägliches und Besonderes auszutauschen, sich der gegenseitigen Liebe oder Zuneigung zu versichern. Oftmals waren Feldpostbriefe auch das einzige Ventil, um Verzweiflung und Angst zum Ausdruck zu bringen oder um überhaupt – wenn auch mit jeweils großer zeitlicher Verzögerung – offen mit jemandem „sprechen“ zu können.

Mit dem Ende des Krieges, spätestens mit dem der Gefangenschaft war dann auch die Zeit des regelmäßigen und massenhaften Korrespondierens vorüber. Allein für den Zweiten Weltkrieg geht die Forschung von einer schier unvorstellbaren Zahl von bis zu 40 Milliarden Feldpostbriefen aus! Diese Schriftstücke wurden vielfach aufbewahrt und oftmals – insbesondere dann, wenn einer der Korrespondenzpartner den Krieg nicht überlebt hatte – wie Schätze gehütet. Das geschah aber zumeist im Geheimen und ohne dass selbst in den betreffenden Familien darüber gesprochen wurde.

So fielen die einzelnen Konvolute jahrzehntelangem Vergessen anheim, sodass sich ein Bewusstsein über deren etwaige private, aber auch wissenschaftliche Bedeutung erst gar nicht entfalten konnte. Das änderte sich schrittweise erst seit dem Beginn der 1980er-Jahre, als diese Quellenart in den Fokus der historischen Forschung zu rücken begann.[1] Im 21. Jahrhundert wurde es bei der Beschäftigung mit einschlägigen Themen zu Krieg und NS-Zeit dann zur Selbstverständlichkeit, auch solche Selbstzeugnisse hinzuzuziehen – so sie denn überhaupt greifbar und nutzbar waren und sind! Die noch viel zu dünne Materialbasis in dieser Hinsicht erheblich und kontinuierlich zu verbreitern und insbesondere die Quellen der historischen Forschung frei und komfortabel zugänglich zu machen, ist Ziel dieses Projekts im Besonderen und der „Editionen zur Geschichte“ (EzG) im Allgemeinen.

Aber nicht nur die Geschichtswissenschaft „entdeckte“ die Feldpost als wichtige Quellengattung, sondern geradezu zwangsläufig auch die Töchter und Söhne jener Menschen, die zwischen 1939 und 1945 massenhaft Briefe gewechselt hatten. Dass die Briefe zuvor zumeist über Jahrzehnte unbeachtet im Keller oder auf dem Dachboden gelegen hatten, war in vielen Fällen als „Vergessen oder Verdrängen einer als unbequem oder unwichtig empfundenen Vergangenheit“ zu deuten.[2]

Durch Krankheit und Tod der Eltern wurde die nachfolgende Generation zu Besitzern oft großer Feldpost-Konvolute und sah sich dabei mit der Frage konfrontiert, wie damit umzugehen sei.

Hier wird nun versucht, auf diese Frage die eine oder andere Antwort zu geben und in dieser Hinsicht Handlungsoptionen zu skizzieren.

Fußnoten

[1] Vgl. etwa den Tagungsbericht über die Konferenz „Schreiben im Krieg-Schreiben vom Krieg - Feldpost im Zeitalter der Weltkriege“ im Museum für Kommunikation Berlin vom 13. bis 15. September 2010 unter https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-3357 [8.5.2018] oder Michael Herkenhoff: Die Sammlung Kriegsbriefe der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn; in: Rheinische Vierteljahrsblätter 77 (2013), S. 158-177, hier S. 158. Online unter https://www.ulb.uni-bonn.de/de/die-ulb/publikationen-veranstaltungen/publikationen-zur-ulb/dokumente/sammlungen-kriegsbriefe [9.5.2018]

[2] So heißt es etwa auf der Website des Berliner „Feldpostarchivs“ unter http://www.museumsstiftung.de/briefsammlung/feldpost-zweiter-weltkrieg/feldpost.html [12.5.2018]. Auch diese von der Museumsstiftung Post und Telekommunikation getragene Einrichtung sammelt solche Unterlagen. Sie besitzt nach eigener Angabe die weltweit umfangreichste erschlossene Sammlung von deutschen Feldpostbriefen, stellt diese bislang jedoch lediglich partiell zur Nutzung ins Netz, wo derzeit rund 1.400 Briefe einsehbar sind. Da die EzG ein breiteres Spektrum an Selbstzeugnissen präsentieren und auch stärker auf eine Kontextualisierung ausgerichtet sind als das Feldpostarchiv, sind beide Einrichtungen nicht etwa als Konkurrenten, sondern als sich ergänzende Vorhaben zu betrachten.