Elisabeth Knabben: Letzte Briefe

Die Knabbens aus Köln-Mülheim waren eine große Familie. Vater Anton – Studienrat am ortsansässigen Gymnasium – und Mutter Maria erzogen ihre vier Kinder Gerta, Agnes, Elisabeth und Willi nicht nur streng katholisch, sondern statteten sie auch mit einer erheblichen Skepsis gegenüber dem NS-Regime aus. Bis auf Willi Knabben gehörte kein Familienmitglied einer NS-Organisation an, und auch der 1920 geborene Sohn, der bis zu deren Verbot Mitglied in der katholischen Schülerorganisation „Neudeutschland“ gewesen war, trat 1936 nur auf Anraten des Vaters der HJ bei, um so zumindest etwas von der NS-Ferne der Gesamtfamilie abzulenken. Einblicke in seine Motive wie in sein gesamtes Leben eröffnet ein Interview, dass im Jahr 2007 mit Wilhelm Knabben geführt wurde und das hier einsehbar ist.

Seine drei Schwestern hatten es zu etwas gebracht. Die 1910 geborene Gerta war technische Lehrerin, die ein Jahr jüngere Agnes – die Adressatin der hier abgedruckten vier Briefe – Pharmazeutin und deren Verfasserin, die 1914 geborene Elisabeth, Fremdsprachenkorrespondentin im Mülheimer Carlswerk. Alle drei waren verheiratet; Agnes schon seit 1936, während Elisabeth (September 1942) und Gerta (Dezember 1942) „Kriegsehen“ eingegangen waren. Nun bangten sie alle um ihre als Soldaten an den Fronten stehenden Männer.

Mit ständigen Ängsten war gerade das Leben im luftkriegsgefährdeten Köln verbunden. Agnes und deren Familie – neben Ehemann Paul die 1937, 1939 und 1940 geborenen Kinder Mechthild, Ursula und Helmut – waren bereits Mitte 1943 in ihrer Deutzer Wohnung ausgebombt worden. Nachdem sie im Anschluss an dieses Unglück zunächst bei ihren Eltern in der Mülheimer Rhodiusstraße untergekommen waren, folgte ein Evakuierungsmarathon, der Mutter und Kinder über Kaltenbach bei Engelskirchen und Wissen an der Sieg schließlich nach Birgel in der Eifel führte, wo sie in einem Wochenendhaus von Bekannten unterkamen. Hierin richtete Elisabeth im Herbst 1944 ihre Briefe.

Auch Gerta hielt sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Köln auf, sondern in Uckerath bei Hennef, wo Elisabeth sie besuchte. Hier war sie, nachdem sie im Februar 1944 ihre erste Tochter mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht hatte, durch verwandtschaftliche Vermittlung zur Erholung von einer älteren Dame aufgenommen worden, da weder der geschwächten Mutter noch dem Neugeborenen die langen und kalten Nächte in den Kölner Luftschutzräumen zuzumuten waren.

Willi Knabben war, seit Oktober 1938 zur Wehrmacht eingezogen, Anfang 1940 zum Medizinstudium in Köln „abkommandiert“ worden, wo er – nur unterbrochen von einer kurzen Teilnahme am „Westfeldzug“ im Sommer 1940 – bis 1944 blieb. Erst nach der weitgehenden Zerstörung der Unikliniken im Zuge der Oktober-Angriffe wurden die Medizinstudenten der Wehrmacht nach Erlangen verlegt.

Die verheiratete, aber noch kinderlose Elisabeth hielt in der elterlichen Wohnung in der Rhodiusstraße sozusagen die „Stellung“ und organisierte – diesen Eindruck vermitteln zumindest ihre wenigen erhaltenen Briefe – neben der Versorgung der Familie die Evakuierung ihrer Schwestern. Sie hielt den brieflichen Kontakt, warnte vor einer Rückkehr nach Köln und entwickelte weitere Umquartierungsszenarien.

Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen. „Aber in den Bunker gehen, wie es die ganze Bevölkerung tut“, wollte Elisabeth nicht. „Dann lieber hier schön zugrunde gehen“, schrieb sie am 19. Oktober. Neun Tage später kam sie während des schweren Angriffs auf Mülheim dann tatsächlich ums Leben. Während ihre Eltern und Bruder Willi im Keller des völlig zerstörten Wohnhauses überlebten, wurde sie im Schutzraum einer Mülheimer Apotheke, wo sie eine Besorgung für ihre Mutter machen sollte, tödlich verletzt. Sie, die sich um das Wohlergehen der übrigen Familienangehörigen solche Gedanken und Sorgen gemacht hatte, war und blieb das einzige Kriegsopfer der Familie Knabben.

Die Briefe und Fotos stellte Mechthild Braun zur Verfügung, die 1937 geborene Nichte der Getöteten, die trotz Evakuierung in die abgelegene Eifel nicht vom Bombenkrieg verschont blieb. Das Haus in Birgel wurde am 2. Weihnachtstag 1944 schwer von einer Bombe getroffen. Während das Hausbesitzerehepaar verletzt wurde, blieben Agnes Krüper und ihre drei Kinder unversehrt. Danach traten sie den Weg an, den die vorausschauende Tante Elisabeth bereits im Oktober 1944 geplant hatte: Sie flohen bei Eis und Schnee aus der Eifel nach Uckerath zu jener älteren Dame, die ein Jahr zuvor bereits Tante Gerta mit Säugling Brigitte aufgenommen hatte. Der zwischenzeitlich leider verstorbenen Leihgeberin sowie ihrem Ehemann Wolfgang Braun sei neben der Überlassung dieser und weiterer Materialien auch für ihr weit darüber hinausgehendes großes Engagement für das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln gedankt.