Anneliese Hastenplug und Andreas van Kann: Eine junge Liebe im Krieg

Der hier präsentierte Briefwechsel zwischen Anneliese Hastenplug und Andreas van Kann ist der Ausdruck einer jungen und großen, dabei aber oft verzweifelten und angsterfüllten Kriegsliebe – mit glücklichem Ausgang.

Andreas van Kann wurde am 10. Oktober 1923 in Bonn geboren. 1937 zog er mit seinen Eltern nach Köln um, wo sein Vater war dort Werkleiter in einer Kartonagenfabrik in der Lindenstraße 82 war. Nach dem Besuch der Volksschule in der Genter Straße absolvierte Andreas van Kann eine kaufmännische Lehre in einem Möbeleinzelhandelsgeschäft. Nach Abschluss der Ausbildung folgte 1941/42 der Reichsarbeitsdienst in St. Wendel im Saarland. Die Briefe aus dieser Zeit sind bis auf eine Ausnahme leider verloren gegangen. Auch der Briefwechsel während der von September 1942 bis Mai 1943 währenden Ausbildung bei der Wehrmacht in Valkenburg (Niederlande) und auf dem Truppenübungsplatz Wahn existiert nicht mehr.

Dagegen hat er sich für jene Zeit, in der Andreas van Kann Frontsoldat war, fast vollständig erhalten. Mitte 1943 war er zunächst in Frankreich stationiert und wechselte im August des Jahres – als „Frontbewährung“ für die Offizierslaufbahn und zum Schrecken von Anneliese – an die Ostfront, wo er im Oktober verwundet wurde. Es folgten verschiedene Lazarettaufenthalte in Wilna, Warschau und Budweis, daran anschließend von Januar bis März 1944 eine militärische Fortbildung in Goch am Niederrhein. Nach deren Abschluss wurde der 20-Jährige erneut in Russland eingesetzt, um dann von Juli bis November 1944 im Zuge eines Offizierslehrgangs die Kriegsschule in Thorn (heute: Torun in Polen) zu besuchen. Nach einem letzten kurzen Heimaturlaub kam Andreas van Kann auf dem westlichen Kriegsschauplatz, unter anderem im Elsass, zum Einsatz. Ende März geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde im Lager im französischen Voves interniert, aus dem er im August 1945 nach Köln entlassen wurde.

Hier wartete die am 28. Juni 1923 in Koblenz geborene Anneliese Hastenplug, die mit ihren Eltern – ihr Vater war Reichsbahnbeamter - 1936 in die Flandrische Straße 20 nach Köln gezogen war. Nach zweijährigem Besuch des Katholischen Lyzeums an St. Gereon absolvierte sie eine kaufmännische Lehre im Lebensmittelgeschäft ihrer Tanten, um nach deren Abschluss als „Anlernling“ bei der Kreissparkasse angestellt zu werden. Sie arbeitete vorwiegend in der Zweigstelle in Frechen.

1940 lernten die beiden 17-Jährigen sich kennen und lieben, wurden aber nur zu bald durch Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht getrennt. Trotzdem beschlossen sie 1942, sich zu verloben. Was dann ab Mitte 1943 beider Alltag dominierte, war die Sorge um das Leben des jeweils anderen, die in den Briefen immer wieder zum Ausdruck kommt. Die Ostfront „konkurrierte“ hierbei mit der trostlosen Lage in Köln, vor allem, nachdem Anneliese Hastenplug am 9. Juli 1943 ihr elterliches Zuhause durch Totalschaden verloren hatte. Noch am gleichen Tag verließ sie mit ihrer Familie Köln in Richtung Ürzig an der Mosel, wo die Hastenplugs bei Verwandten unterkamen. Während dieser Zeit fand Anneliese gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Adele eine Anstellung bei der Standortheeresverwaltung im Eifelstädtchen Wittlich, kehrte auf Anforderung der Kreissparkasse aber schon bald nach Köln zurück, wo sie im rechtsrheinischen Frankenforst zunächst in einem Hotel, schließlich in einem Privathaus Unterkunft fand. Der tägliche Weg bis nach Frechen war – insbesondere nach schweren Angriffen – eine Tortur.

Nichts aber war schlimmer als die Ungewissheit über das Schicksal des jeweils anderen. Angesichts der völlig ungewissen Zukunft erscheint es aus heutiger Sicht vielleicht merkwürdig, dass das junge Paar eine kurzen Urlaub des zu dieser Zeit in Kölnnähe stationierten Andreas van Kann nutzte, um am 29. Dezember 1944 sowohl standesamtlich als auch – in der Krypta der ausgebombten St. Michaels-Kirche – kirchlich zu heiraten. Gefeiert wurde mit den Eltern van Kann und einigen Nachbarn, während die Eltern Hastenplug und Schwester Adele erst sehr viel später vom Ehestand der Tochter bzw. Schwester erfuhren. Der Bräutigam musste seine Braut sehr bald wieder verlassen und mit unbekanntem Ziel an die Westfront einrücken. Man habe geheiratet, so berichtete Anneliese van Kann im Jahr 2005, weil man endlich die notwendigen Papiere zusammen, vor allem auch den Bräutigam in der Nähe gehabt habe: „Die Gelegenheit ergab sich, Urlaub war schwer zu kriegen und außerdem konnte keiner wissen, wie lange es noch bis zum Ende des Krieges dauern würde.“

Die hier einsehbaren Briefe haben im Laufe ihrer mittlerweile rund 75-jährigen Existenz den wohl weitesten Weg aller hier präsentierten Dokumente zurückgelegt. Sie erreichten uns aus Australien, wo die damals 82-jährige Anneliese van Kann im Jahr 2005 als versierte Internetnutzerin und als solche eifrige Leserin der online-Ausgaben Kölner Zeitungen einen Aufruf des NS-Dokumentationszentrums entdeckte, in dem nach Materialien aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gefragt wurde. Sie meldete sich – natürlich per E-mail – umgehend in Köln.

Wie kamen die van Kanns nach Australien? Zunächst wohnte das junge Ehepaar nach der Rückkehr von Andreas van Kann bei dessen Eltern; er versuchte in der Einrichtungsbranche Fuß zu fassen, Anneliese arbeitete bis zur Geburt des ersten Sohns Frank 1947 weiter bei der Kreissparkasse. Bald aber verdichteten sich Pläne zur Auswanderung, die Andreas bereits in seinen hier ebenfalls einsehbaren Tagebucheinträgen in Erwägung gezogen hatte (vgl. Eintrag vom 12. April 1945). Die Kriegserlebnisse hatten bei den jungen Leuten einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen; insbesondere Andreas van Kann, so erinnerte sich seine Frau, hatte beschlossen: „nie wieder Soldat!“ Der „Kalte Krieg“ der späten 1940er und frühen 1950er Jahre deuteten aber in eine ganz andere Richtung, so dass die junge Familie van Kann 1953 den Entschluss fasste, auszuwandern. Optionen waren Kanada und Australien, wobei die Wahl schlicht deshalb auf das letztgenannte Ziel fiel, weil es dauerhaft besseres Wetter versprach.

Möbel und Hausrat wurden in Container verpackt, und man trat im Sommer des Jahres an Bord der „Castelverde“ die lange Reise nach „Down Under“ an. Am 7. Juli 1953 betraten die van Kanns in Freemantle erstmals australischen Boden. Sie siedelten sich zunächst in Tuart Hill, einem Vorort von Perth an, bauten sich bald und fast ausschließlich in Eigenleistung ein Haus. Nachdem im Laufe der Jahre verschiedene Eigentumswohnungen gefolgt waren, ließ sich die Familie um 1980 in Wembley Downs nieder. 1954 und 1955 wurden mit Thomas und Andrew die Söhne zwei und drei geboren, die sich später beruflich ebenso erfolgreich etablierten, wie das ihrem Vater als „contract manager“ verschiedener Firmen zuvor gelungen war. Auch Anneliese van Kann wurde, nachdem die Söhne erwachsen waren, nochmals berufstätig und war von 1973 bis 1987 Angestellte beim staatlichen Wasserwerk.

Nach einem angesichts von Krieg und Auswanderung sehr ereignisreichen, aber auch ausgefüllten Leben starb Andreas van Kann am 10. November 2002 nach fast 58-jähriger Ehe. Danach wohnte wohnt Anneliese van Kann allein im eigenen Haus, aber in der Nähe der Familien ihrer drei Söhne. Ihr sei an dieser Stelle für ihre große Hilfsbereitschaft gedankt. Sie überließ die für sie so wichtigen Dokumente im Original nicht nur wildfremden Menschen, sondern trug auch wie selbstverständlich sämtliche Kosten, die durch Versand und Reproduktionsarbeiten entstanden.

Neben den Briefen stellte sie auch Fotos und insbesondere zwei schmale Tagebücher zur Verfügung, die ihr Mann während der Zeit seiner Kriegsgefangenschaft anlegte und deren Einträge den Zeitraum vom 8. Januar bis zum 27. August 1945 abdecken. Sie sind hier einzusehen.