Charlotte und Harald Endemann: Liebesschwüre, Familiengeschichten und Geschäftliches

Hier wird die umfangreiche, die Jahre zwischen 1940 und 1945 abdeckende Feldpostkorrespondenz zwischen Charlotte und Harald Endemann aus Bad Godesberg zugänglich gemacht. Sie wurde auf Beschluss des Endemann‘schen „Geschwisterrats“ von deren jüngster Tochter Stefanie zur Verfügung gestellt und dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln zur dauerhaften Aufbewahrung übergeben.

Die „Mutter-Briefe“

Zu den Inhalten der Briefe von Charlotte Endemann äußern sich die Geschwister Endemann ausführlich in der Einleitung der von ihnen besorgten Edition:

„Eine Frau, allein mit fünf Kindern und weitgehend auf sich gestellt, führt ihre Familie über fünf Weltkriegsjahre durch wachsende Sorgen, Ängste und Nöte. Nebenbei besorgt sie das Geschäft (Hausverwaltungen) ihres zur Wehrmacht eingezogenen Mannes. Die Sorge um die Familie unter den Bedingungen von Krieg und den zur Normalität werdenden Versorgungsengpässen bestimmen den Alltag.

Die Godesbergerin Charlotte (Lotti) Endemann teilte mehr oder weniger das Schicksal von Millionen Frauen, deren Männer eingezogen wurden, die an der Front standen, fielen oder vermisst blieben. Sie ist vergleichsweise noch gut davongekommen: Ihr Mann Harald wurde Ende 1940 als schon fast 40jähriger und Vater von fünf Kindern eingezogen. Der Jüngste, Jürgen, zu diesem Zeitpunkt ein halbes Jahr alt, sowie Ursel (2 ½), Klaus (4), Heidi (6) und Helga (7). Erst 1945 wurde er an die Front befohlen. Bis dahin war er im Bodendienst des Jagdgeschwaders 11 (Deutsche Bucht) der Luftwaffe an verschiedenen Standorten stationiert. Die 34-jährige Lotte Endemann blieb mit der Kinderschar, mit der eigenen Mutter und der öfters nicht sonderlich hilfreichen Schwiegermutter am Wohnort Godesberg zurück. Vom Bombenkrieg wurde die Stadt zum Glück nur eher „zufällig“ betroffen.

Charlotte Endemann hat in etwa 500 Briefen 1940 bis 1945 ihrem Mann den Alltag in Godesberg im familiären Plauderton nachgezeichnet und geschildert, ungefiltert und authentisch. Sie beschreibt die tausend Sorgen und die wenigen sorgsam gehegten Freuden des Alltags, berichtet über Küchenzettel, Mangelwaren, das tägliche Rennen um die Zuteilungen, über den immer grauer und trostloser werdenden Kriegsalltag in Angst und Sorge um den Mann und die Kinder. Aber auch von scheinbaren Banalitäten, von Konflikten mit Hausgenossen, Anekdoten der Kinder u.s.w. erzählt sie. Beklemmend ihre Schilderungen über die Nächte im Luftschutzkeller, die alltägliche Bedrohung durch Bomben, Tod und über die völlig ungewisse Zukunft. Bei aller Sorge bemüht sie sich, dem Alltag ein wenig Glanz, Kultur und auch Witz zu verleihen - so gut es eben geht. Ihr oberstes Gebot aber ist die Sorge um die fünf sehr lebendigen Kinder. Denen muss es gut gehen. - So wird für uns Nachkommen der Geruch und die Atmosphäre der Kriegsjahre spürbar, die wir als glückliche Kindheit in Erinnerung haben.

Wir erleben Lotti vor allem in einer innigen, tragenden Partnerschaft. Diese vertieft sich durch die erzwungene Trennung und die Sehnsucht und wird durch die wenigen Treffen stets bestätigt. Ihr abwesender Mann Harald sollte so eng wie möglich in das Geschehen einbezogen sein und daran teilhaben können. Gleichzeitig ist das oft tägliche Briefeschreiben für Charlotte selbst Einkehr, Selbstvergewisserung und Refugium. Es hilft ihr, resignative und düstere, gelegentlich auch panische Stimmungen zu überwinden. Lotti sehnt sich nach Schutz und Behütetsein. Gleichwohl beweist sie täglich beachtlichen Mut, Tatkraft und Zähigkeit, dazu einen fast unerschöpflichen Erfindungsreichtum.

Das Kriegsgeschehen wird vor allem insoweit wahrgenommen und gebannt verfolgt, als es die unmittelbaren Belange der eigenen Familie, auch der ihrer Schwestern Thea und Hansi, und später deren Überlebensperspektiven betrifft. Das Schicksal der Menschen in den besetzten Regionen scheint nicht auf; und das der Flüchtenden und Ausgebombten nimmt breiteren Raum erst mit zunehmender Aussichtslosigkeit der Entwicklung ein. Man mag im Ausblenden fremder Probleme eine mehr oder weniger bewusste Seelen-Ökonomie sehen. Übrigens auch aus Sorge vor der Zensur beschränkt sich Lotti weitgehend auf den privaten Umkreis. Aufmerksame Leser nehmen kritische Mitteilungen „zwischen den Zeilen wahr“, die in Beiläufigkeiten verpackt werden (z.B. Brief vom 12. Juli 1944).

Die örtlichen Parteichargen, sämtlich Emporkömmlinge, standen von Anfang an in keinem guten Ruf; gleichwohl hegt Charlotte zunächst Vertrauen in die Integrität des 'Führers' und seiner engeren Regierungsmannschaft. Das Vertrauen bröckelt zusehends, der Glaube schwindet. Die Begeisterung über die Erfolge der deutschen Kriegsführung weicht mehr und mehr Skepsis und Misstrauen. Die Kriegspropaganda kommentiert sie zunehmend sarkastisch und spöttisch, manchmal sogar unvorsichtig offen, ebenso die Feigheit der regionalen Partei- und Militärführung. Antisemitische Propaganda findet bei ihr keinerlei Resonanz.“

 

Die „Vater-Briefe“

Die bis 2016 verschollenen Briefe Harald Endemanns spielten, weil nicht bekannt, in der innerfamiliären Beschäftigung mit dem Feldpost-Nachlass der Eltern keine Rolle. Als sich Stefanie Endemann dann aber auch an die Transkription der wieder aufgefundenen Briefe ihres Vaters begab, brachte sie einige ihrer dabei empfundenen Gefühle und Eindrücke auf Wunsch zu Papier. Hier einige der Inhalte:

„In Harald Endemanns Briefen spielen geschäftliche Dinge häufig eine Rolle, denn das Immobilien- und Hausverwaltungsgeschäft musste natürlich weiter laufen. Sie zeigen aber auch, dass sich seine Frau in diesen Dingen trotz Haushalt, den Kindern und der Versorgung von Mutter und Schwiegermutter darin gut bewährt. Ansonsten berichtet Harald vom soldatischen Alltag, von Kameraden, vom alltäglichen Ärger, von Merkwürdigkeiten und Absurditäten des Dienstes. Häufig finden sich aber auch starke Schilderungen von Naturstimmungen in der Heide., die von Harald Empfänglichkeit zeugen.

In Holland nehmen die Protokolle seltener Ausflüge in die ländliche Umgebung einen Teil der brieflichen Schilderungen ein. Die Leiden der Holländer nimmt er als Kasernierter nur am Rande wahr. Weitgehend ungerührt beschreibt er die schwierige Ernährungs- und Versorgungslage der Bevölkerung, während er zugleich im Reich nicht mehr erhältliche „Liebesgaben“ (z.T. aus, wie er ahnt, zweifelhafter Quelle), erwirbt und nach Hause schickt, wo sie Ehefrau Lotti gern entgegennimmt. Im Zuge großer Siege schleicht sich in die Briefe gelegentlich ein rüder Landser-Ton ein, der vielleicht der Selbstvergewisserung, vielleicht aber auch als Überlebensmittel dient.

Harald Endemanns Briefe sind durchzogen von Beteuerungen seiner Liebe zur fernen Frau, die er sehr vermisst. Deren Briefe aus Godesberg sind ihm stützende und stabilisierende ‚Geländerstäbe‘, ohne die ihm ein Leben unter den Bedingungen des Krieges oft schier unmöglich erscheint. Klagen über die Eintönigkeit oder Unsinnigkeiten des Dienstes auf der Schreibstube oder über das Benehmen der Kameraden sind nicht selten, und so wartet er stets sehnsüchtig auf Post und orientiert sich völlig am Zuhause. Er möchte alles erfahren und fordert Lotti immer wieder zu ausführlichen Schilderungen und Berichten auf, um teilzuhaben und dabei zu sein.

Harald Endemann zeigt sich als liebender und fürsorglicher Familienmensch, eine Eigenschaft, die sich auch angesichts der Dauer des Krieges und der Trennung nicht verliert. Den größten Teil seines Soldes investiert er, um seine Familie nach Kräften zu versorgen. Andererseits setzt er alles daran, als ‚guter‘ Soldat zu erscheinen, um so dem deutschnational geprägten Ideal seines Vaters zu entsprechen und es zum eigenen zu machen. Zweifel oder gar Fragen nach der Berechtigung des Krieges haben in diesem Weltbild, soweit aus den Texten erkennbar, wenig Platz.“

Überraschungen

Stefanie Endemann stellte bei Lektüre und Transkription der „Vater-Briefe“ fest, dass diese auch interessante Aspekte beinhalten können, die weder mit Mutter noch Vater zu tun haben. Ihr habe, so schrieb sie nach einem Korrekturdurchgang, Wilhelm Lichtschlag regelrecht „Spaß“ bereitet, der während des gesamten Krieges glücklicherweise an der Seite ihres Vaters geblieben und somit auch Gegenstand von Schilderungen in dessen Briefen geworden sei.

Lichtschlag, so der Eindruck von Stefanie Endemann, scheine „den ganzen Krieg auf Schwejk‘sche Manier völlig unmilitärisch unterlaufen zu haben“. Auch wenn er und seine Familie durch ein solches Verhalten alles andere als Anerkennung erfahren hätte, sei der Kriegskamerad ihres Vaters offenbar für jede Art von NS-Propaganda völlig unempfänglich geblieben. „Harald bescheinigt ihm wegen seiner diesbezüglichen Gleichgültigkeit, er sei ‚nicht frei von Voreingenommenheit‘ gegen die NSDAP und deren Werke. Wilhelm will nicht ins Kino, wenn es Soldatenfilme gibt; bei allem Militärischen zeigt er keinerlei Engagement.“ Auch sonst habe er offenbar immer wieder Auswege gefunden. „Wenn es um Ertüchtigung geht, liegt er krank zu Bett mit Kopfweh. Bei der Besetzung von Holland interessiert er sich in Bergen (op Zoom?) sehr angelegentlich für die Vogelwelt, sehr viel weniger hingegen - wie Harald beklagt - für die Kriegserfolge. Er liest Klassiker, spielt klassische Gitarre, belehrt Harald über Vogelstimmen und Sternbilder usw. Als in seinem Spind die Bücher nicht exakt nach der Größe geordnet sind“ , heimst er einen gehörigen Anpfiff ein. Weit weniger engagiert und kreativ zeigte sich Wilhelm Lichtschlag hingegen im militärischen Alltag: „Im Dienst ist er alles andere als ein Leuchte. Als Soldat des ‚Führers‘ eine echte Niete!“

Stefanie Endemanns Fazit fällt eindeutig aus: „Wilhelm Lichtschlag scheint sich komplett der Kriegseuphorie entzogen zu haben. Er wollte nur irgendwie durchkommen.“

Auch so etwas findet sich in Feldpostkorrespondenzen!

Mit Stefanie Endemann und ihrer Schwester Heidi Diehl wurde ein Video-Gespräch geführt, auf dessen Grundlage eine Darstellung über den Umgang der Kinder mit der Feldpostkorrespondenz ihrer Eltern entstand. Sie ist hier an anderer Stelle einschließlich Auszügen aus dem Video-Interview einsehbar.