Übergabe der Briefe –„Nein, ich kann die jetzt noch nicht lesen.“

Lange Zeit, so erzählt Dorothea Hölzer, habe sie nichts von der Existenz der Briefe ihres Vaters an ihre Mutter gewusst. Sie selbst besaß nur jene Briefe, die ihr Vater direkt an sie gerichtet hatte. Ihre Mutter hätte zwar immer wieder sehr liebevoll und positiv von ihrem „Vati“ erzählt. Doch dessen Briefe wurden im Familienkreis nie thematisiert. Ihre Mutter habe das Konvolut aufgehoben und ihre zwischenzeitlich längst verheiratete Tochter erst in höherem Alter darauf angesprochen. „Da hat sie gesagt: ‚Du, ich habe die Briefe aus dem Krieg von Deinem Vati verwahrt, und ich würde sie Dir gerne geben. Ich würde mich freuen, wenn Du sie liest, damit Du uns kennenlernst und Deinen Vati noch mehr kennenlernst.‘“ Mit der Übergabe übertrug Elsbeth Ließem, in der Zwischenzeit verheiratete Magar, auch die Entscheidung über den weiteren Umgang mit den Briefen auf ihre Tochter.

Sie habe die Schriftstücke daraufhin mitgenommen und „auch mal reingeguckt“. Zu diesem Zeitpunkt erschien Dorothea Hölzer eine intensivere Beschäftigung mit dem Nachlass Ihrer Eltern aber noch zu sehr als ein Eingriff in deren Intimsphäre. „Ich sah meine Mutter und hatte die Briefe und dachte: ‚Nein, ich kann die jetzt nicht lesen, ich kann das noch nicht.‘“

 

Als sie die Briefe dann nach dem Tod der Mutter wieder zur Hand nahm, wurde sie sich der durch ihre Zurückhaltung vertanen Chance dann schmerzhaft bewusst. „Hätte ich sie doch gelesen! Dann hätte ich die Mutti noch vieles fragen können.“

„Hervorgeholt“, so erzählt sie weiter, habe sie den Nachlass dann erst wieder im Zuge des Irak-Krieges, als sie gedacht habe: „Verdammt noch mal, dieser Bush!“ Zu diesem Zeitpunkt sei ihr klar geworden: „Jetzt muss ich etwas machen!“, um aller Welt am Beispiel des Schicksals ihres Vaters zu demonstrieren, „wie brutal Kriege sind“.

 

Dabei kann bzw. muss sich Dorothea Hölzer allein auf die Briefe ihres Vaters konzentrieren, denn die Schreiben ihrer Mutter sind – bis auf wenige Ausnahmen – ebenso verloren gegangen wie die Korrespondenz zwischen Hannes Ließem und dessen Eltern. Dabei bleiben die Gründe für diesen Totalverlust bis heute ebenso ungeklärt wie die Tatsache, dass für das Jahr 1942 auch von Seiten des Vaters praktisch kein Brief erhalten ist. Verwundungen und Lazarettaufenthalte sind in dieser Hinsicht mögliche, aber sehr unsichere und unbefriedigende Erklärungen. Die Briefe an die Front werden wohl aus anderen Gründen nicht den Weg nach Godesberg zurück gefunden haben. Vielleicht sind sie aber auch als Folge des Absturzes der Sanitätsmaschine verbrannt, was zwei überlieferte Briefumschläge mit Brandspuren nahelegen.