Briefgeheimnis und Nationalsozialismus

1926 wurde das damalige Verständnis des Briefgeheimnisses in einer juristischen Abhandlung als eines der zentralen „Ur- oder Grundrechte des Menschen“ definiert, weil „das Recht des Menschen, ungehindert und ungefährdet einem Dritten seine Gedanken und Meinungen auf schriftlichem Wege mitteilen zu können“ unmittelbar und untrennbar „zu seinem Recht auf Freiheit der Person“ zu zählen sei.[1] „Ein Mensch, dem diese Möglichkeit genommen ist, ist in einem wichtigen Teil seines Freiheitsrechtes beschränkt.”

Für totalitäre und autokratische Systeme war und ist die Postzensur hingegen stets ein unverzichtbares Instrument der Herrschaftssicherung, ohne dass dabei auf etwaige Grundrechte Rücksicht genommen würde. Daher ist als wichtiges und unverzichtbares Kriterium zur Beurteilung des Quellenwerts von Briefen stets das etwaige Vorhandensein einer Zensur zu überprüfen, die im Interesse neuer totalitärer Machthaber zumeist umgehend eingerichtet wurde und wird.

Das musste auch die deutsche Bevölkerung nach der NS-Machtübernahme am 30. Januar 1933 nur zu bald erfahren, denn das neue Regime unterstützte zwar private Kommunikation, verhinderte aber zugleich, dass diese weiterhin frei und in geschütztem Raum stattfand. Das Grundrecht des Brief-, Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnisses wurde – neben weiteren – bereits einen Tag nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 durch die berüchtigte Verordnung „zum Schutz von Volk und Staat“ - die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung” - außer Kraft gesetzt. Zugleich wurde damit der Polizei und hier insbesondere der Gestapo, „die Möglichkeit gegeben, im Interesse der Staatssicherheit die dem Staat und der Staatsführung durch die Tätigkeit der staatsfeindlichen Elemente drohenden Gefahren durch wirksame Maßnahmen in vorbeugender Weise zu beseitigen oder auf ein Mindestmaß zu beschränken” – so der Text einer offiziellen Darstellung aus dem Jahr 1938. Somit brach die Post zwar nicht das Briefgeheimnis, wohl aber das Postgeheimnis, indem sie auf entsprechende Anforderung von Gestapo oder dem Sicherheitsdienst der SS Briefe zur inhaltlichen Kontrolle aussonderte und zur Auswertung an die Polizei weiterleitete. Bei der Überwachung des Brief- und Telegrammverkehrs kam es wesentlich auch auf die Mitarbeit der Briefträger an, die die Sendungen, deren Beschlagnahme angeordnet worden war, aussortieren und weiterleiten mussten. Nach Überprüfung der Sendungen wurden freigegebene Briefe und Pakete dann zurück ins Postamt geschafft und weiterbefördert.

Es blieb den Menschen natürlich nicht unbekannt, dass eine Kontrolle ihrer privatesten Meinungsäußerungen in Briefen jederzeit möglich war. Das animierte einerseits zu entsprechender Vorsicht, förderte andererseits aber auch die Kreativität, Zensurmaßnahmen zu umgehen. Je größer die Wahrscheinlichkeit staatlicher Schnüffelei war, umso geschickter wurde von Briefeschreibern der Raum „zwischen den Zeilen“ genutzt, um durch Anspielungen und/oder Verschlüsselungen versteckte Botschaften mitzuteilen. Ist dem Historiker die Existenz von Zensur bekannt, steht er daher vor der oft sehr schwierigen Aufgabe, aus den manifesten Briefinhalten gerade das herauszulesen, was nicht expressis verbis in der Quelle steht.[2] Und gerade in Kriegszeiten unterlag die (Feld-) Post stets besonderen und zumeist sehr strengen Bedingungen, die noch größere Vorsicht nahelegten.

Fußnoten

[1] Vgl. hierzu und zum Folgenden Katrin Kilian: Das Medium Feldpost als Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Archivlage, Forschungsstand und Aufbereitung der Quelle aus dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2001, S. 14ff.

[2] Vgl. Weiß, Briefe, S. 52ff.