Grundsätzliches

Im Zweiten Weltkrieg erreichte die zwischenmenschliche Kommunikation in Form von Briefen mit schätzungsweise 30 bis 40 Milliarden – vielleicht sogar noch mehr - Feldpostsendungen eine völlig neue Dimension.[1] Sie erklärt sich daraus, dass der Briefverkehr in aller Regel die einzige private Verbindung zwischen den Soldaten an den Fronten und der Heimat darstellte. Insofern manifestiert sich in der überlieferten Feldpost ein in einem speziellen geschichtlichen Kontext entstandenes Individualmedium. Zu berücksichtigen ist allerdings stets, dass Feldpostbriefe unter spezifischen Bedingungen, die sich deutlich von der Kommunikationspraxis in Friedenszeiten unterschieden, verfasst, versendet und empfangen wurden. [2]

Das begann damit, dass Feldpostbriefe nicht an Klaradressen gerichtet, sondern mittels Feldpostnummern adressiert wurden, die dazu dienten, den Aufenthaltsort der jeweiligen Truppenteile zu verschlüsseln und so deren Ortung zu verhindern. Die Nummern wurden daher auch willkürlich verteilt, um so einer Entschlüsselung vorzubeugen, wobei die Einheiten ihre Nummern auch bei Standortwechseln behielten. Die Versetzung eines Soldaten in eine andere Truppe bedeutet somit stets auch einen Wechsel seiner Feldpostnummer. Während des Kriegsverlaufs nahm die Anzahl an Feldpostnummern erheblich zu. Waren 1939 zunächst rund 40.000 Feldpostnummern vergeben worden, so erhöhte sich deren Zahl auf über 56.000 (Ende 1942) auf 60.000 im April 1943. Im Februar 1944 wurde die Zahl 64.000 erreicht. Weil Feldpostnummern bei Auflösung einer Truppe neu vergeben wurden, dürfte sich die Anzahl dieser Nummern für die gesamte Kriegszeit auf rund 200.000 belaufen.[3]

Die Briefkommunikation während des Krieges war stets äußerst fragil, weil verschiedene kommunikationshemmende und -störende Umstände den Briefverkehr immer wieder erschwerten. Lange Transportwege, die Unmöglichkeit einer halbwegs sicheren Auskunft über Ankunft und Zustellbarkeit der Feldpost[4] sowie schließlich die Unsicherheit, ob der Adressat überhaupt noch lebte, waren Kennzeichen, die über die gesamte Kriegsdauer eng mit dem Schreiben von Briefen verknüpft blieben, das sich daher durch ein hohes Maß an „Ungleichzeitigkeit“ auszeichnete. Auch die Reihenfolge, in der Briefe eintrafen, war nicht vorhersehbar, weshalb viele Korrespondenzpartner dazu übergingen, die Briefe zu nummerieren, um so zumindest nachträglich die richtige Reihenfolge herzustellen; auf lange Phasen vergeblichen Wartens konnte nämlich das gleichzeitige Eintreffen eines ganzen Stapels von Briefen folgen.

Schätzungsweise 75 Prozent der Feldpostbriefe wurden an der „Heimatfront“ verfasst, während lediglich 25 Prozent den umgekehrten Weg von der Front ins Reich gingen. Weil die Soldaten an der Front nur selten eine Möglichkeit hatten, die an sie gerichteten Briefe aufzubewahren und über das Kriegsende hinaus zu retten, ist solche im Grunde sehr viel zahlreichere Feldpost aus der Heimat aber weitaus seltener überliefert als die Schreiben der Soldaten. Daher liegen weitaus mehr Feldpostbriefe von Männern als von Frauen vor, obwohl diese die sehr viel aktiveren und produktiveren Schreiberinnen waren.[5]

Fußnoten

[1] Zur Diskussion der Zahlenspanne vgl. Kilian, Medium, S. 97

[2] Vgl. hierzu ausführlich Kilian, Medium, S. 21ff. S. 23ff. fasst Karin Kilian in instruktiver Form die jeweiligen – nicht statisch zu verstehenden und einem steten Wandel unterworfenen – Eigenschaften von „Kommunikator“, „Adressaten“ und „Medium“ sowie die „situativen Bedingungen“ zusammen. Zu den „Eigenschaften“ des Briefeschreibers führt sie u.a. aus: „Seine soziale und kulturelle Zugehörigkeit und Rolle sowie seine Kommunikationsabsichten wirken sich auf den Inhalt der Botschaft aus. Bezogen auf Feldpostbriefe können dies familiäre Rollen wie die des Vaters oder der Mutter, gleichzeitig des Ehemannes oder der Ehefrau sein. Soziale Funktionen, wie die des Versorgers, können sich verschieben, wenn zum Beispiel die Frau neben ihren Aufgaben als Ehefrau und Mutter die Verantwortung des in den Krieg eingezogenen Mannes übernehmen muss. Die Absicht der Briefkommunikation besteht in erster Linie in der existentiellen Aufrechterhaltung der Verbindung an sich. Darüber hinaus können im Dialog etwa Sachverhalte erörtert, Ratschläge erteilt, Situationsbeschreibungen geliefert, Appelle gesendet werden. Das Schriftstück kann Lebenszeichen und Abschiedsbrief zugleich sein. Die monologischen Merkmale – die auf das Selbst des Schreibers orientierten Kommunikationsfunktionen – beziehen sich auf kontemplative Eigenschaften des Schreibvorgangs, wie etwa Selbstreflexion, Beruhigung, Besinnung, Selbstbetrachtung oder Ordnung von Gedanken. (…) Verharmlosung, Übertreibung oder die Niederschrift von Gefühlen und Gedanken bilden den Charakter des eigenen Ich ab. (…) Physische oder psychische Verfassungen können sich ändern und ein Schreiben unmöglich machen oder den Inhalt und die Übermittlung von brieflichen Botschaften beeinflussen.“

[3] Vgl. Kilian, Medium, S. 112ff.

[4] Die Laufzeit wird seitens der Forschung auf 12 bis 30 Tage geschätzt, wobei deren Dauer bei kritischer Kriegslage aber noch weitaus länger ausfallen konnte. Die meiste Zeit nahmen erwartungsgemäß Brieflieferungen an die bzw. von den Fronten im Osten und in Afrika in Anspruch. Vgl. Kilian, Medium, S.111

[5] Vgl. Echternkamp, Kriegsschauplatz, S. 5