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Die individuelle Wahrnehmung von Zensur war aber nur einer von diversen Faktoren, der die Themenauswahl, deren sprachliche Umsetzung und damit letztlich die Inhalte von Feldpostbriefen beeinflussen konnten. Daher sollten stets auch die verschiedenen Konditionen, unter denen ein solcher Brief verfasst wurde, als grundlegende Kommunikationsbedingungen differenziert werden. [1] Das gilt es für Feldpost noch weitaus gründlicher zu tun als für „normale“ Privatpost, denn erstere wurde zumeist in existenziell bedrohlichen Situationen zu Papier gebracht: Auf unbestimmte Zeit getrennt von den Angehörigen und dem zivilen Leben, unter großen körperlichen und psychischen Entbehrungen und Strapazen, allzu häufig im Bewusstsein der Möglichkeit des eigenen gewaltsamen Tötens und Sterbens sprachen Menschen über sich und ihre Umgebung.[2]
Feldpostbriefe waren nicht in erster Linie ein Medium der Berichterstattung, sondern können als eine Art „Kitt“ der Kriegsgesellschaft betrachtet werden. Damit eignen sie sich in aller Regel auch kaum zur Rekonstruktion historischer Ereignisse, denn die konnte der Frontsoldat in ihrer Komplexität und Bedeutung nicht wahrnehmen. Diese Briefe haben hingegen einen anderen Wert, indem sie Alltags-Kommunikation oft über einen Zeitraum von mehreren Jahren dauerhaft festhielten. So geben sie Einblicke in das Befinden der Betroffenen, in die Auseinandersetzungen und Diskurse des täglichen Lebens in einer aus den Fugen geratenen Zeit. Soziale Gebilde – etwa Ehen, Beziehungen, Familien und Freundschaften – sind nicht zuletzt durch Kommunikation bestimmt. Während solche Alltagsgespräche in „normalen“ Zeiten verloren gehen, wurden sie unter den spezifischen Kommunikationsbedingungen des Krieges auf Papier festgehalten: Der Klatsch und Tratsch der Familie, die Arbeit, die Besorgungen, auch das Private und Intime, nicht zu vergessen Not und Elend des Krieges, denn der Feldpost-Brief war damals das einzige dauerhaft verfügbare Medium der Individualkommunikation, das Soldaten mit ihrem familiären und sozialen Umfeld zu Hause verband.[3] Denn zuvor hatte der Krieg die alltäglichen Gespräche „am Küchentisch“ abrupt unterbrochen und deren Fortsetzung auf herkömmlichem Wege unmöglich gemacht, was zu einer grundlegenden kommunikativen Umstrukturierung führte, wodurch die nicht selten täglich gewechselte Feldpost an die Stelle des bis dahin Gewohnten trat und zu einem zentralen Element des Alltags an Front und „Heimatfront“ wurde.[4]
Die größte Bedeutung der Feldpostbriefe war wohl deren Signalbedeutung als Lebenszeichen. Daneben führen sie den Leser in ein Dickicht immer wiederkehrender, höchst persönlicher Themenbereiche, wobei sich die Schreiber hauptsächlich ihrer Zuneigung und Treue versichern und den jeweiligen Partner in Bezug auf die jeweils eigene Lage beruhigen. Damit bestimmt Trivialität zu einem wesentlich Grad den Inhalt der Briefe.[5] Des Weiteren spielt es naturgemäß für den jeweiligen Inhalt eine große Rolle, ob die Briefe an die Ehefrau, die Mutter oder an Freunde und Bekannte geschrieben wurden. Je nach Adressat wurden bestimmte Themen ausgespart oder verharmlost dargestellt. So können sich beispielsweise zeitgleich geschriebene Briefe eines Sohnes an Vater und Mutter inhaltlich stark unterscheiden, weil er die Mutter beruhigen, vor dem Vater aber als gestandener „Krieger“ erscheinen möchte.
Auf den ersten Blick können Feldpostbriefe aber auch ermüdend wirken, denn der Alltag an den Fronten war nicht nur gefährlich, sondern meistens von Langeweile und schwerer Arbeit geprägt. Schilderungen solcher Situationen tauchen in den Briefen – zumal in jenen sehr junger Soldaten – immer wieder auf. Zugleich aber können diese Briefe auch der Bewältigung extremer und lebensbedrohlicher Situationen durch deren Verbalisierung dienen, also eine Art Ventil darstellen, um den grausamen Kriegsalltag zumindest vordergründig bewältigen zu können.[6]
Clemens Schwender und Jens Ebert sprechen mit Blick auf die Inhalte von Feldpostkorrespondenzen von den „vier Welten“, die sich darin mitteilen konnten. Knapp zusammengefasst verstehen sie hierunter:
1. Die Welt der Front
Dies war die Welt des Soldaten und die, die aus vielen Gründen sicher am schwersten zu vermitteln und am ehesten von Zensur bestimmt war. Betroffen waren in erster Linie nicht ideologische Äußerungen, sondern zunächst sollten militärisch sensible Daten geheim gehalten werden, falls die Post in Feindeshand fallen sollte.
2. Die Welt der Heimat
Die Briefe aus der Heimat waren weniger von Zensur bestimmt. Zwar wurden auch sie stichprobenartig kontrolliert, doch es gab militärisch im Grunde nichts zu verbergen, die Angriffe durch alliierte Bomber waren offensichtlich.
3. Vergangenheit und Zukunft
Beziehungen, die über briefliche Kommunikation aufrechterhalten werden, haben eine Vergangenheit und eine erhoffte Zukunft. Da sich Partnerschaften über Kommunikation bestimmen, dient diese dazu, die Trennung zu überbrücken. Die Erinnerungen an gute alte Zeiten und die Hoffnungen auf bessere werden als Argumente genutzt, Freundschaft und Liebe trotz der derzeitigen Trennung nicht aufzugeben.
4. Propaganda und Medien
Medienereignisse waren die einzige Möglichkeit, neben dem Urlaub aktuell Gemeinsames zu erleben und von den getrennten Welten an Front und Heimat unabhängige Erfahrungen zu machen. Spielfilme aus Babelsberger Produktion liefen nicht nur in den Kinos der Heimat, sondern dienten an vielen Orten, wo Soldaten stationiert waren, dem Zeitvertreib und der Zerstreuung. Zeitungen, Zeitschriften und Bücher konnten überall hin verschickt werden und wurden von den Soldaten begierig aufgenommen. Die Teilnahme am öffentlichen Diskurs war somit möglich. Das Radio war das einzige Live-Medium, das an allen Abschnitten der Front und zu Hause zeitgleich gehört werden konnte.[7]
Der Blick auf diese verschiedenen „Welten“ lässt zugleich das Potenzial erahnen, das in der Quelle „Feldpost“ steckt und das es für die Forschung gewinnbringend zu nutzen gilt, um das Verständnis für die Geschehnisse während der Weltkriege zu erhöhen. So sind etwa die Fakten des Zweiten Weltkriegs hinlänglich bekannt, das Innenleben der am Kriegsgeschehen beteiligten Menschen aber entzieht sich bislang in weiten Teilen noch immer unserem Blick. Eine Analyse dieses Innenlebens hängt ab von einer sich kontinuierlich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Quellenbasis, zu der nicht zuletzt Feldpostkorrespondenzen zählen. Nur hieraus können über die bloße Momentaufnahme einzelner Briefe hinaus Aussagen über die – sich im Kriegsverlauf eventuell wandelnde - Mentalität der Verfasser gewonnen werden. Allerdings haben geschlossene Quellenkörper, die exemplarische Untersuchungen erlauben, nach wie vor Seltenheitswert, weil zahlreiche Briefkonvolute ebenso wie ihre Autoren den Krieg nicht überstanden haben oder nach wie vor und für die Forschung unzugänglich auf privaten Dachböden liegen.[8]
Zum Schluss noch eine zusammenfassende einschränkende Bemerkung: Auch wenn Feldpostbriefe als besonders „lebendige“ Quelle gelten, die – den entsprechenden quellenkritischen Ansatz vorausgesetzt – einen weitgehend unverstellten Zugang zum Kriegsalltag an Front und „Heimatfront“ eröffnen kann, gilt es sich – wie im Übrigen bei praktisch allen Selbstzeugnissen – vor der „Authentizitätsfalle“ zu hüten. Denn ohne dadurch den Wert dieser Dokumente für die historische Forschung im geringsten zu schmälern[9], gilt es zum einen immer wieder daran zu erinnern, dass auch der in Feldpostbriefen gegebene zeitnahe private Bericht über das Erlebte stets bereits auf einer Auswahl beruht und daher nur einen Ausschnitt des weit komplexeren Geschehens beinhaltet. Hinzu kommt, dass der Verfasser manches mit Absicht nicht erwähnt, etwa um den Empfänger nicht zu ängstigen oder mit der Briefzensur nicht in Konflikt zu geraten. Und schließlich findet sich im Brief stets nur das, was die Absender von ihrem persönlichen Standpunkt aus überhaupt für bedeutsam und mitteilenswert hielten, aber auch was und worüber sie zu schreiben im Stande waren.[10]
[1] Vgl. Kilian, Medium, S. 21
[2] Vgl. Irrgang, Feldpost, S. 41
[3] Vgl. Schwender/Ebert, Feldpost und Schwender, Feldpost.
[4] Vgl. Jander, Selbst- und Fremdbilder, S. 25 und 30f.
[5] Vgl. Jander, Selbst- und Fremdbilder, S. 30f.
[6] Vgl. Jander, Selbst- und Fremdbilder, S. 31
[7] Schwender/Ebert, Feldpost. Dort werden die einzelnen „Welten“ ausführlicher vorgestellt.
[8] Vgl. Irrgang, Feldpost, S. 42
[9] Dass in Feldpostbriefen durchaus der reale Alltag an den Fronten zum Ausdruck kam, geht aus einer Äußerung von Joseph Goebbels hervor, der im Januar 1942 in sein Tagebuch notierte: „Der OKW-Bericht wird unentwegt weiter kritisiert, weil er kein klares Bild von der Lage entwirft. Demgemäß wirken auch die Feldpostbriefe geradezu verheerend. Was unsere Soldaten von der Front in die Heimat schreiben, ist überhaupt nicht mehr zu beschreiben.“ Zitiert nach Jander, Selbst- und Fremdbilder, S. 36f.
[10] Vgl. Echternkamp, Kriegsausbrüche, S. 6