Die Feldpostbriefe von Johannes Flohr: „Macht euch keine Sorgen ... “
Die Feldpostbriefe von Johannes Flohr (11. Mai 1922-15. Februar 1944) wurden von dessen jüngerem, 1938 geborenem Bruder Adolf bearbeitet und 2008 als Band 81 der Schriftenreihe „Erzählen ist Erinnern“ des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. herausgegeben. Auf Nachfrage des NS-Dokumentationszentrums stellte Familie Flohr die im Folgenden präsentierten Originalbriefe und Fotos bereitwillig zur Reproduktion und weiteren Nutzung zur Verfügung. Unseren herzlichen Dank dafür.
Adolf Flohr leitete seine damalige Publikation so ein:
„Am 15. Februar 2008 jährt sich der Todestag meines Bruders Johannes zum 64. Mal. Er fiel bei den Kämpfen um Witebsk 1944, erst 21 Jahre alt. Ich habe beschlossen, seine erhaltenen Feldpostbriefe an meine Mutter herauszugeben, um ihn nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Von Januar 1942 bis kurz vor seinem Tod hat er viele Briefe in die Heimat, nach Dirmerzheim, einem kleinen Ort in der Nähe von Köln [heute zu Erftstadt gehörig], geschrieben. Für meine Mutter war es sicher nicht leicht, ihren Sohn in den Krieg ziehen zu lassen, weil mein Vater schon 1940 gestorben war. Aus den Briefen von Johannes spricht seine Sorge um seine Familie, vermutlich fühlte er sich nach dem Tod unseres Vaters für meine Mutter, meine Schwester und mich verantwortlich.
Bevor Johannes Soldat wurde, hatte er eine Steinmetz- und Bildhauerlehre absolviert. Sofort nach dem Abschluss seiner Ausbildung wurde er eingezogen (9. Januar 1942). Nach einer mehrmonatigen Ausbildung kam er im Juni 1942 an die Ostfront zur Heeresgruppe Mitte, zur Stabskompanie des Grenadier-Regiments 306 (211. Infanterie-Division) und wurde im Raum Kaluga, Brjansk, Orel und Witebsk eingesetzt. Ihm wurde das Infanterie-Sturmabzeichen und das Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen. Im Oktober oder November 1943 wurde er verwundet. Hierüber habe ich keine genauen Angaben. Ich vermute aber, dass es nur eine leichte Verwundung war, denn er wurde im Lazarett in Minsk behandelt und kam nicht nach Hause. Bald darauf jedoch erhielt er Heimaturlaub.
Als mein Bruder Johannes Anfang des Jahres 1942 Soldat werden musste, war ich erst fünf Jahre alt. Normalerweise können junge Männer nicht viel mit kleinen Kindern anfangen. Mein Bruder aber war immer sehr liebevoll zu mir und in fast jedem Brief dachte er an mich und ließ mich grüßen. Einige Erinnerungen habe ich noch an ihn.
Johannes war ein fröhlicher Mensch und spielte hervorragend Mundharmonika. Er hat mir oft schöne Lieder vorgespielt. Auch an der Front spielte er und erhielt von den russischen Soldaten, die nicht weit entfernt auf der „anderen“ Seite lagen, Beifall. Das hat er mir erzählt.
In den Briefen meines Bruders steht öfter, dass er Kameraden die Haare geschnitten hat. Neben seiner Ausbildung zum Steinmetz hatte er sich im Friseurgeschäft unseres Vaters das Haareschneiden angeeignet und war talentiert genug, zur Zufriedenheit der Kameraden deren Haare zu kürzen. Meine Mutter hatte ihm das Handwerkszeug nachgeschickt.
Als mein Bruder nach seinem Urlaub Anfang 1944 wieder an die Front musste, war ich trotzig und beleidigt. Ich war gekränkt, dass er nicht bei uns blieb und verkroch mich in mein Bett. So ist Johannes ohne Abschied von mir wieder an die Front gefahren. Das tut mir heute sehr leid, aber damals konnte ich sein Verhalten nicht verstehen.
Ich wünsche mir, einmal das Grab meines Bruders besuchen zu können.
Frau Therese Heine danke ich ganz herzlich für die Übertragung der in Sütterlin geschriebenen und teilweise schwer lesbaren Briefe meines Bruders.
Ein besonderer Dank gilt dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der mit der Buchreihe ‚Erzählen ist Erinnern‘ die Veröffentlichung von Einzelschicksalen möglich macht, die damit für die Nachwelt erhalten bleiben.“