Johannes Flohr an Mutter und Geschwister, 20. Juni 1942

Sch., den 20. Juni 1942

Meine Lieben!

Die allerbesten Grüße aus dem fernen Osten sendet euch Johannes. Bin noch gesund und munter, was ich doch auch von euch hoffe. Habe nun endlich die beste Zeit, euch einige Zeilen zu schreiben. Werdet ja erstaunt sein, wenn ihr dieses lesen werdet. Aber ihr braucht euch keine Kopfschmerzen zu machen, es wird schon klappen. Ich hätte doch gedacht, Käthe hätte mich ja noch einmal besucht in Wahn, aber ich habe vergebens gewartet.

Wir sind nun von Wahn verladen worden, ein ganzes Bataillon am 8. des Monats, und waren hier am 15., im ganzen (sind wir) sieben Tage gefahren. Wir liegen 300 Kilometer von Moskau entfernt. Wir sind noch in Zweiter-Klasse-Wagen gefahren, diese 3 000 Kilometer von zu Hause weg. Als wir nun hier ankamen, bekamen wir Gewehre - es war Mitternacht - und mussten dann zehn Kilometer mit Tornister laufen bis zu dem russischen Dorf. Und hier wurden wir in einzelne Kompanien aufgeteilt. Und liegen in privaten Wohnungen bei den Russen. Ich kann euch sagen, hier ist etwas los, ihr würdet euch wundern, wie die Russen leben. Wir schlafen in den Holzhütten

auf dem Fußboden. Auch Läuse, Wanzen und Mäuse sind genug hier. Ich habe aber bis jetzt noch nichts am Leibe gehabt. Aber die Leute sind ganz anständig und gut zu uns, die haben unsere Wäsche gewaschen und Strümpfe gestopft, die tun uns jeden Gefallen. Man ist das Leben hier in den Buden schon gewöhnt, Hauptsache, dass man warm und trocken sitzen und schlafen kann.

Aber ich will euch das Eine sagen, wir haben nur schlechtes Wetter. So einen Schlamm wie hier auf der Straße könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Den ganzen Tag geht es bis über die Knöchel durch den Schlamm, genau wie in der Wochenschau. Wir machen den Dienst weiter wie in der Kaserne und liegen 20 Kilometer von der Front, aber es ist nicht so schlimm. In 14 Tagen müssen auch wir zur Front.

Liebe Mutter, wie ist es denn bei euch? Hoffentlich noch alles beim alten und was macht Onkel Johann. Schreibe euch nun per Luft-Feldpost. Zweimal im Monat bekommen wir zwei Freimarken dafür. Habe euch auch eine beigelegt, dann könnt ihr mir zurückschreiben,

dann dauert die Post nur fünf Tage, sonst zehn Tage. Aber ihr könnt mir noch nicht schreiben, weil wir noch keine Feldpostnummer haben, es wird noch 14 Tage dauern. Wenn ihr nun die Feldpostnummer habt, dann könnt ihr mir nach und nach Streichhölzer, Zigarettenpapier, Feuerzeug und Zigaretten schicken. Wir bekommen jeden Tag sechs Zigaretten. Denn hier gibt es überhaupt nichts, man ist wie von der Welt abgeschlossen.

Na, meine Lieben, wie ist es denn mit dem kleinen Adolf, der wird ja bald groß sein. Hoffentlich ist er noch gesund und munter. Wenn ihr nun meine Feldpostnummer habt, dann müsst ihr ganz oft schreiben, das sag ich euch jetzt schon. Also meine Lieben, seid herzlich gegrüßt und lasst’s euch gutgehen bis auf ein baldiges Wiedersehen in der Heimat, Johannes.

Viele Grüße an Onkel Johann und Ännchen, Oma Linden und alle Bekannten in Dirmerzheim, besonders an minge (meinen) Adolf. Das wäre alles für heute.

Wenn ihr per Luftfeldpost schreibt, muss der Brief mit rotem Stift durchgestrichen werden.