August Broil an Marga Ortmann, 9. Mai 1943
Bremen, den 9.5.43.
Meine liebe Marga.
Heute schon kam ein erster Gruß von Dir nach Bremen. Es war Dein Brief, der mir von der feinen Stunde des stillen, wundersamen Betens in der einsamen Kapelle erzählt. Mir ist es mit dem Beten ähnlich ergangen wie Dir. Eine Zeit hindurch fiel es mir schwer, um etwas zu Beten. Es war die Zeit des inneren Stürmens und Drängens, des idealistischen Strebens der jugendlichen Menschen. Da glaubte ich, nur in Stunden innerer Begeisterung die Ehre Gottes preisen zu können. Dies aber ist nur ein Teil des Betens, zu dem wir fähig sind. Du schreibst es richtig, daß in der rechten Gesinnung letztlich jedes Beten der Ehre Gottes dienen muß. Der in der Gemeinschaft bewußt lebende Mensch ist ja durch sein Beten in ihr und für sie erst recht zu diesem Mitfühlenden, teilnehmenden Sprechen mit Gott verpflichtet.
Am heutigen Sonntag nachmittag bin ich allein zur Stadt Bremen gegangen. Ganz in der Nähe der Kaserne, die außerhalb der Stadt liegt, habe ich ein neu errichtetes, feines Diaspora-Kirchlein gefunden. Ihr, dem darin wohenden geheimnisvoll verborgenen Gott, habe ich einen stillen Besuch gemacht. Es war gewiß eine ähnliche Stunde wie die Deine; denn ich bin froh und gestärkt weiter in die Stadt hineingegangen.
Bremen hat einige wunderbare alte Kirchen. Sie stammen aus der kraftvollen Zeit mittelalterlicher Ordnung zu Gott. Zeugen sind sie des einstigen großen Lebens der Menschen im festen, wahren Glauben. Der schmerzliche Einbruch der Reformation in unser Volk hat ihnen, wenn auch nicht den Glauben, so doch die Einheit und letzte Ordnung genommen. Nun stehen die Zeugen des wahren Wortes stumm da und raunen dem stillen, ernsten Betrachter nur aus der fernen Zeit zu.
Ich ging in den Dom hinein. Er ist ein mächtiges, ursprünglich romanisches Bauwerk, gotisch eingewölbt, erweitert durch hohe gotische Seitenschiffe, aus denen helles Lilcht in das Dunkel des Mittelschiffes dringt. Der Blick ist beim Eintritt machtvoll nach vorn gezogen, wo wir das Geheimnis unseres Glaubens vermuten würden. Wir spüren, wie dem betenden Volk früher Jahrhunderte von dort Ströme der Gnade zuflossen. Wenn dann der Blick vorn im Halbdunkel des Mittelschiffes verweilt, gewahrt er den quergestellten Bibelaltar, die Querbänke. Diese Anordnung der gottesdienstlichen Einrichtungen wird einem wie ein Sinnbild der Leiden und Mühen unseres Volkes in seines Glaubens Zwiespalt. Gewiß, sie mühen sich alle ernsthaft, sie glauben der wahren Erkenntnis nahe zu sein, und doch wissen wir, daß es nur den einen wahren Glauben geben kann. Wann wird unserem Volk diese letzte Erkenntnis wieder werden!
Als ich am Samstagabend zu einem kurzen Besuch im Dom war, fand ein Gottesdienst statt. Er wurde durch ein feines Orgelspiel eingeleitet. Dieses Orgelspiel erinnerte mich so stark an unsere Komplet, als sie noch oben in der Kirche stattfand. Dort haben wir auch des öfteren ein feines Orgelstück gehört. Nach langer Entbehrung war mir dieses kleine Erlebnis so viel und es tat mir so recht um das Herz wohl. Und es lag auch ein leiser Schmerz oder Wehmut in dieser Freude: das Trennende, das Fremde; die ferne Gemeinschaft.
Nun, meine Marga, ist der Abend da. Morgen beginnt der neue Dienst. Vielleicht komme ich dann nicht mehr zum Schreiben. Es würde mir sehr leid tun, wenn mein letzter Brief aus Aachen verloren gegangen wäre; denn diesen Brief hatte ich ganz besonders für Dich und unsere Gemeinschaft geschrieben. Hoffentlich wird er noch ankommen.
Ich grüße Dich sehr herzlich und ich denke so oft an Dich
Dein August