Die „Briefe der Kameraden“
Der 1920 geborene Kölner "Neudeutsche" Willi Strunck, unter anderem ND-Fähnleinführer am Apostelgymnasium und neben Hanns Striefler einer der Aktivisten beim Aufbau des ND-Bundesarchivs, machte sich Anfang der 1980er Jahre daran, die von ihm initiierten "Briefe der Kameraden" zusammenzutragen.[1]
Die Entstehung
Als er die Sammlung im Dezember 1984 dann dem ND-Bundesarchiv übergab, skizzierte Willi Strunck Entstehungsgeschichte und Intention der Briefe so:
"Diese 'Briefe der Kameraden' berichten über die Kriegsjahre hinweg vom Schicksal und vom Miteinander der letzten Obergruppe der Neudeutschland-Gruppe 'St. Aposteln' aus Köln. Diese ND-Gruppe am Apostelngymnasium zu Köln, die mit dem gesamten Bund am 1. Juli 1939 polizeilich verboten wurde, scherte sich nicht um das Verbot, sondern arbeitete weiter. Erschwerend kam hinzu, dass dieses berüchtigte 'Apostelngymnasium', das den NS-Leuten ein Dorn im Auge war, in diesem Jahre aus fadenscheinigen Gründen aufgelöst, die Schüler an drei andere Kölner Gymnasien (Schiller-, Kreuzgasse- und Spiesergasse-Gymnasium) abgegeben wurden und das Lehrerkollegium in alle Winde zerstreut wurde.
Nachdem fast alle Mitglieder der Gruppe zur Wehrmacht einberufen waren, übernahm es Leo Custodis, der als Einziger infolge seiner kriegswichtigen Tätigkeit als Ingenieur bei den Messerschmitt-Flugzeugwerken in Augsburg nicht Soldat wurde, die Verbindung zu den Bundesbrüdern auf allen Kriegsschauplätzen Europas herzustellen.
Alle berichteten ihm und er tippte mühsam mit vielen Durchschlagen diese Briefe auszugsweise ab und schickte dann diese bis zu zehn Seiten umfassende Zusammenstellungen als 'Briefe der Kameraden' heraus. Dieser Nachrichtendienst funktionierte ab Sommer 1940 ausgezeichnet und Jeder war über Jeden informiert.
Auch das letzte Knappenfähnlein 'Langemark' praktizierte zwei Jahre später dasselbe und wieder war Leo Custodis bereit, mitzuhelfen bei diesen 'Briefen der Knappen', die leider nur noch mit zwei Ausgaben erhalten sind.
Im Januar 1943 schlug allerdings dann die Gestapo zu, stellte das Zimmer von Leo total auf den Kopf und nahm Alles mit, was interessant schien, einschließlich seiner Schreibmaschine.
In dieser folgenden Sammlung finden sich auch Briefe von dem damaligen Kaplan Reinhardt Angenendt, in dessen Kirche 'St. Maria im Kapitol' sich an jedem Samstagabend alle in Köln noch vorhandenen Mitglieder der aufgelösten katholischen Jugendbünde zur 'Deutschen Komplet' trafen. Dies war dann auch der Treffpunkt für die gerade in Urlaub befindlichen Soldaten. Weiterhin befinden sich in der Sammlung Briefe von Ernst Rausch, dem letzten Mitarbeiter des ND-Pfalzkaplans Pater Karl Thielen SJ, der mit unserer Gruppe besonders verbunden war.
Mit viel Freude habe ich als letzter Gruppenführer 'St. Aposteln' diese Briefe zusammengetragen und die Originalsammlung dem KD-Bundesamt in Köln übergeben."
Das Ende
Das Ende der "Briefe der Kameraden" schilderte Leo Custodis so:
"Am Vormittag des 8. Januar 1943 saß ich bei meiner alltäglichen Berufsarbeit im Konstruktionsbüro der Messerschmitt-Flugzeugwerke, als mir telefonisch vom Pförtner Besuch angekündigt wurde. Ich ging nichtsahnend hinunter, und da wurde mir ein Ausweis vor die Nase gehalten: Staatspolizei! 'Wir müssen Ihre Wohnung durchsuchen!' - Staatspolizei, besser bekannt als 'Gestapo', kein angenehmer Besuch. Und was Wohnungsdurchsuchung bzw. Hausdurchsuchung bedeutete, das wusste man damals nur allzu gut: Man suchte nach 'staatsfeindlichen' Schriften und Belastungsmaterial über 'staatsfeindliche' Betätigung.
Mit einem Personenauto - das war im 4. Kriegsjahr schon etwas Besonderes - ging es zu meiner Wohnung. Ich hatte zwar nur ein möbliertes Zimmer, aber das wurde nach allen Regeln der Kunst auf den Kopf gestellt. Ich musste alle verschlossenen Schubladen und Schränke öffnen, alle Bücher wurden durchblättert, und alles Schriftliche, Briefe, Notizen, sogar mehrere abgezogene Blätter von Ausarbeitungen aus dem Religionsunterricht meines letzten Schuljahres 1935/36 wurden als staatsfeindlich beschlagnahmt. Und dann auch noch meine Schreibmaschine. Als ich hierfür eine Empfangsbescheinigung verlangte, anderenfalls würde ich sie nicht herausgeben, wurde sie mir von einem der beiden Männer, Typ Schwerathlet und Boxer, abgenommen mit der Bemerkung, dass er mich sonst selbst mitnehmen müsse.
An drei folgenden Tagen und später nochmals im März und April 1943 wurde ich jeweils mehrere Stunden lang bei der Gestapo zu jedem Stück des beschlagnahmten Schriftmaterials verhört.
Jetzt erfuhr ich auch, was man mir vorwarf: Illegale Fortführung eines staatspolizeilich verbotenen Vereins, nämlich des 'Neudeutschlandbundes'. Dabei wurde der Name Josef Trost genannt, der in Dortmund den 'staatsfeindlichen Bund Neudeutschland' weitergeführt haben soll und als 'Hauptbeschuldigter' in dieser Angelegenheit galt.
Und gerade in diesem Punkt war ich eigentlich bereits einige Monate vorher vorgewarnt worden. Meine Mutter hatte mir nämlich im Herbst 1942 von einem merkwürdigen Besuch geschrieben. Er hatte sich nicht vorgestellt und wollte mich sprechen. Als meine Mutter erklärte, dass ich nicht mehr in Köln wohne, hätte er geantwortet: 'Ach ja, in Augsburg, Kaiserstraße 53'. Also wusste der Besucher ganz genau meine Adresse. Bei der Verabschiedung hatte er noch so nebenbei bemerkt, es handle sich um den Bund 'Neudeutschland', und sagte dann noch: 'Bestellen sie ihrem Sohn Grüße von Josef Trost!' -
Da mir ein Josef Trost ganz unbekannt war, erkundigte ich mich brieflich bei Willi Strunck nach ihm. Willi hat mir darauf geantwortet, ich weiß heute nicht mehr was, ich hatte mir jedoch irgendwo notiert, dass ich von Willi einen beruhigenden Bescheid erhalten habe.
Mir kam jedoch diese ganze Sache nicht geheuer vor. Deshalb brachte ich nach dem Erhalt des Briefes meiner Mutter meine ganze bisherige Korrespondenz und die Adressenlisten außerhalb meines Zimmers in Sicherheit. Da jedoch wochenlang nichts passierte, sammelte sich wieder ein ganzer Packen Briefe an, der dann in die Hände der Gestapo fiel.
Obwohl mir unter Androhung der Verhaftung strengstes Stillschweigen über diese Aktion befohlen worden war, unterrichtete ich zwei Mitarbeiter im Messerschmitt-Werk, ehemalige Sturmschärler aus Essen, über diesen Vorfall. Und da bei der Durchsuchung der Gestapo verschiedene Briefe in die Hände gefallen waren mit meiner Meinung nach recht brisanten Namen, wie Angenendt (damals Stadtjugendseelsorger und Kaplan an 'St. Maria im Kapitol' zu Köln), Schnippenkötter (der Vater war ein von den Nazis strafversetzter und zum Studienrat degradierter ehemaliger Studiendirektor - ein von uns sehr geschätzter Lehrer am Kölner Apostelngymnasium), Schwering (der Vater war Leo Schwering, vormals Zentrums-Abgeordneter im preußischen Landtag, nach dem Kriege Mitbegründer der CDU) und noch andere, bat ich einen der oben erwähnten Kollegen, am folgenden Wochenende (9./10. Januar) nach Köln zu fahren, um meine Eltern und verschiedene Betroffene zu warnen. Denn es war zu befürchten, dass bei den gefundenen Adressen weitere Haussuchungen stattfinden würden, und es musste verhindert werden, dass weitere Personen in diese Angelegenheit verwickelt wurden.
Da ich nun auch befürchten musste, dass meine weitere Korrespondenz überwacht wurde, und da ich andererseits durch diesen Vorfall eine starke Abneigung gegen das Briefeschreiben bekam, beschränkte ich meinen weiteren Briefwechsel auf ein Mindestmaß. Das ging so weit, dass auch meine Eltern manchmal über längere Zeit nichts von mir hörten, sodass sie wiederholt in Sorge waren, dass ich weitere Schwierigkeiten gehabt hätte und eventuell sogar eingebuchtet worden wäre.
Gott sei Dank passierte jedoch nichts weiter, und nach der letzten Vernehmung im Frühjahr 1944 hörte ich, dass die Sache eingestellt worden sei. Die Schreibmaschine bekam ich jedoch nicht zurück, da sie zu staatsfeindlicher Betätigung benutzt worden sei.
Das war leider von meiner Seite das Ende der 'Briefe der Kameraden'."
Die Briefe werden hier in der Form und Reihenfolge wiedergegeben, wie Willi Strunck sie zusammenstellte, von dem hier auch eine Lebensgeschichte einsehbar ist. Von den von ihm erwähnten beiden Ausgaben der "Briefe der Knappen" konnte einer im Briefbestand Fein aufgefunden und dieser Sammlung hinzugefügt werden.
[1] Die Brief sind im ND-Bundesarchiv unter A-3-2-448-11 archiviert. Dort finden sich auch das Schreiben von Willi Strunck vom 8. Dezember 1984 sowie der (undatierte) Bericht von Leo Custodis. Ein Teilabdruck findet sich in Karl-Theodor Schleicher/Heinrich Walle (Hgg.): Aus Feldpostbriefen junger Christen 1939-1945. Ein Beitrag zur Geschichte der Katholischen Jugend im Felde, München 2005. Eine – zu Recht kritische – Rezension verfasste Felix Römer in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10. Abrufbar unter www.sehepunkte.de/2009/10/9624.html (4.2.2020).