Kriegszeit

Mit Beginn des Krieges trat eine neuerliche Wende ein, denn nun versuchte man auch von Seiten des NS-Regimes etwaige noch vorhandene Wogen im Verhältnis zur katholischen Jugend zumindest für dessen Dauer zu glätten. Am 28. September 1939 erließ die Reichsjugendführung eine geheime Anordnung zur Vermeidung von offenen Auseinandersetzungen mit konfessionellen Verbänden während des Krieges. Danach waren künftig „alle schriftlichen und mündlichen Äußerungen zu unterlassen, die konfessionelle Überzeugungen verletzen und somit zu einer Verstimmung bestimmter Volksteile Anlass geben könnten“. Sämtliche Führer und Führerinnen der Hitlerjugend wurden darauf hingewiesen, „dass nichts im Kriege wichtiger sein kann als der innere Friede, über den wir alle gemeinsam zu wachen haben“. Allerdings, so hieß es abschließend, schließe die Anweisung eine weitere Überwachung nicht aus, sondern erfordere „geradezu die doppelt aufmerksame Beobachtung der konfessionellen Verbände und ihrer Tätigkeit sowie eine gewissenhafte Berichterstattung über alles, was damit in Zusammenhang steht“.[1]

Die katholischen Jugendlichen hielten trotz aller Einschränkungen und Überwachung bis in die Kriegszeit hinein informelle Netzwerke aufrecht, die sich aber stets selbst aus NS-Sicht bis auf wenige Ausnahmen im legalen Rahmen bewegten. Die jungen Menschen suchten und fanden Freiräume, die es ihnen ermöglichten, die alten Verbindungen aufrecht zu erhalten, ihren Glauben zu leben und sich über sie interessierende Themen auszutauschen. Das galt dann erst Recht für die Zeit nach dem 1. September 1939, als immer mehr junge Männer an die Fronten einberufen wurden und versuchten, sich durch Briefkontakte oder im Rahmen von Treffen im Rahmen der kurzen „Heimaturlaube“ mit Gleichgesinnten zu treffen und ihre oft schlimmen Fronterfahrungen zu verarbeiten. Zu Fixpunkten wurden dabei zumeist die jungen Frauen in den Pfarrgemeinden, die solche Netzwerke aufrecht erhielten und für die Urlauber zu stets präsenten und verlässlichen Anlaufstationen wurden. Hier konnte man dann im Kreis Gleichgesinnter diskutieren, wandern und entspannen und wurde – das war für viele elementar wichtig -, nachdem man wieder zu seinen Einheiten zurückgekehrt war, brieflich auf dem Laufenden gehalten. Es waren nicht selten auch die Mädchen, die durch Rund- und Feldpostbriefe während den durch extreme Mobilität geprägten Kriegsjahren die Gruppenkontakte pflegten. Aber auch wenn solche Korrespondenznetzwerke von der Gestapo argwöhnisch beobachtet und teilweise sogar unterbunden wurden, dienten sie doch weit eher der Selbstvergewisserung der Jugendlichen, als dass in ihnen oppositionelles Denken oder gar Handeln zum Ausdruck gebracht worden wäre. [2]

Das gilt auch für die Korrespondenznetzwerke katholischer Jugendlicher, die ihr Zentrum oft in einer Pfarrgemeinde bzw. einem einzelnen Pfarrer hatten. Das in Köln wohl größte Unterfangen dieser Art war die Korrespondenz, die der in der für die katholische Jugend ohnehin besonders bedeutsamen Pfarre St. Maria im Kapitol tätige Kaplan Reinhard Angenendt mit zur Wehrmacht eingezogenen jungen Männern unterhielt. Während diese Briefe laut Aussage der hier an anderer Stelle ausführlich vorgestellten Marga Broil (Ortmann) jedoch durch Bombeneinwirkung völlig vernichtet wurden, haben sich jene erhalten, die der Bickendorfer Kaplan Rudolf Stiesch mit einberufenen jungen Angehörigen seiner Pfarre unterhielt. Auch sie sind hier mit zahlreichen weiteren umfangreichen privaten Korrespondenzen nunmehr zugänglich.[3]

Fußnoten

[1] Zitiert nach Karl Heinz Jahnke/Michael Buddrus: Deutsche Jugend 1933 - 1945. Eine Dokumentation, Hamburg 1992, S. 313, Dokument Nr. 189.

[2] Die beiden in dieser Hinsicht für Köln bekanntesten Beispiele dürften die von Klaus Franken an der Front redigierten und von seiner Schwester Therese in Köln produzierten und von hier aus verteilten „Grauen Briefe“ sowie die von Willi Strunck und Leo Custodis initiierten und von letzterem vervielfältigten „Briefe der Kameraden“ der ehemaligen ND-Gruppe am Kölner Apostelgymnasium sein. Beide Aktionen wurden schließlich durch das Einschreiten der Gestapo beendet. Dadurch wurden sie jedoch nicht automatisch zu widerständigem Handeln. Eine Einführung und der komplette Abdruck der „Briefe der Kameraden“ finden Sie hier; die „Grauen Briefe“ sind hier einsehbar.

[3] Eine erste Annäherung an solche Korrespondenznetzwerke aus Essen und Köln bietet Verena Kücking, „Das gemeinsame Band“. Schreiben als Praxis – Katholische Jugendgruppen im Zweiten Weltkrieg, Berlin 2018. Die Untersuchung basiert auf Materialien, die hier nun in weitaus umfangreicherer Form zugänglich gemacht werden.