Schallplatten als Mittel gegen Isolation: „Stimmen der Jugend“
In unseren digitalen Zeiten ist es nahezu jederzeit möglich, Filme, Musik und sämtliche weiteren Medien an jedem Ort zur freien Verfügung zu haben und sich umfassend „vernetzt“ mit anderen darüber zugleich austauschen zu können. Das war in den 1930er Jahren natürlich noch nicht möglich, und insbesondere unter den zunehmend restriktiveren Vorgaben des NS-Regimes wurde es für Andersdenkende zunehmend schwerer, gemeinsam „ihre“ Musik zu hören und in größerer Gemeinschaft Aussagen ihrer Idole zu lauschen.
Dem versuchte man naturgemäß möglichst wirkungsvoll zu begegnen, ohne dass man die damals in rasantem Tempo an Beliebtheit und Verbreitung zunehmenden modernen Medien Rundfunk und Film, die sich unter alleiniger staatlicher Kontrolle befanden, hätte nutzen können. In dieser Situation beschritt der Katholische Jungmännerverein (KJMV) früh den Weg, seinen zahlreichen lokalen Gruppierungen, die sich vor Ort zunehmenden Repressionen und immer stärker fühlbar werdender Isolation ausgesetzt sahen, mittels Schallplatten zumindest in Ansätzen ein Gefühl von Gemeinschaft, Verbundenheit und Stärke zu vermitteln. Hierzu erdachten sich die Verantwortlichen die Schallplatten-Reihe „Stimmen der Jugend“, die seit Ende 1934 bis ins Jahr 1937 hinein produziert wurde.
Neben alten und neuen Liedern von und mit Adolf Lohmann und Georg Thurmair umfasst die aus insgesamt sieben Folgen mit jeweils mehreren Schallplatten bestehende Serie Reden von Ludwig Wolker, dem Generalpräses des KJMVD. Die Schallplatten kamen in den Jahren der NS-Diktatur und – vielleicht noch stärker? - auch während des Krieges deutschlandweit in den Gruppenstunden des Verbandes und nach dessen Verbot in den Gruppenstunden der Pfarrjugend zum Einsatz und fanden entsprechend große Verbreitung. Konkrete Zahlen hierzu fehlen bislang jedoch gänzlich. Betrachtet man aber die jeweiligen Gebrauchsspuren der von der Telefunken GmbH in Berlin gepressten Platten, so wurden sie sicherlich häufig benutzt. Das gilt vor allem für die sechste Platte der sechsten Folge mit der Ansprache des damaligen Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli - dem späteren Papst Pius XII - an die deutsche Jugend. Sie wurde im April 1937 veröffentlicht, also kurz nach der Enzyklika „Mit brennender Sorge“. Während die einzelnen Reihen entweder in Altenberg oder in Düsseldorf aufgenommen wurden, so widmet sich diese sechste Reihe ausschließlich Rom. Unter dem Titel „Tu es Petrus“ ist dort neben Pacelli Musik – unter anderem aus der Sixtinischen Kapelle - zu hören. Es ist aber bekannt, dass auch während des Krieges noch Aufnahmen in der Kölner Kirche St. Maria im Kapitol aufgenommen wurden.
Wenn über die Verbreitung der „Stimmen der Jugend“ auch verlässliche Angaben fehlen, steht immerhin fest, dass der KJMV und das Düsseldorfer Jugendhaus als dessen Zentrale für ihr neues Produkt kräftig die Werbetrommel rührten - beispielsweise in der Ausgabe der Zeitung „Junge Front“ vom 9. Dezember 1934. In dieser Ausgabe der mit einer Auflage von 120.000 Exemplaren größten und aufgrund ihrer Aufmachung und Inhalte wirkungsmächtigsten Publikationsplattform der damaligen katholischen Jugendverbände war ein fast ganzseitiger, „Achtung Aufnahme“ betitelter Artikel abgedruckt, in dem sowohl die technische Seite der Aufnahmen als auch die mit der neuen Audio-Serie „Stimmen der Jugend“ verfolgten Intentionen einem großen Publikum nahegebracht werden sollten. Dieser Artikel ist hier an anderer Stelle vollständig dokumentiert.[1]
[1] Vgl. https://jugend1918-1945.de/portal/archiv/thema.aspx?bereich=archiv&root=8876&id=12799.