Familie Kranz

Familie Kranz betrieb ein Eisenwarengeschäft in der Humannstraße Essen-Steele. Das Familienleben wurde in erheblichem Maße durch die tiefe Verwurzelung im Katholizismus geprägt, die sich insbesondere auch im Denken und Handeln der beiden älteren Söhne Gisbert und Karl-Heinz niederschlug, die sich beide überaus aktiv in der katholischen Jugendarbeit engagierten – Gisbert als Gymnasiast im „Bund Neudeutschland, Karl-Heinz zunächst ebenfalls im ND, danach in der Pfarrjugend St. Laurentius, wo er Mitglied des „Steeler Kreises“ wurde.

Gisbert und Karl-Heinz waren nicht nur gläubige Katholiken, sondern begeisterte Schreiber. Insbesondere Gisbert verfasste verschiedene Chroniken über die Familiengeschichte, seine gesamte Schulzeit und legte verschiedene „Fahrtenbücher“ an. In all diesen Selbstzeugnissen schlug sich naturgemäß sein Weltbild nieder, das sich in den von ihm verfassten „Gedanken“ nochmals seinen komprimierten Ausdruck fand. Auch Karl-Heinz verfasste „Fahrtenbücher“ und führte eine Zeitlang ein Tagebuch. All diese Materialien sind hier neben dem umfangreichen Briefwechsel der Brüder und ihrer Familie einsehbar. Hinzu kommt die Korrespondenz, die Gisbert Kranz mit ehemaligen „Neudeutschen“ sowie Studienfreunden führte.

Zudem finden sich hier ebenfalls die Lebensgeschichten von Gisbert Kranz und Karl-Heinz Kranz, die auf einer Autobiografie „Jugend unterm Hakenkreuz: Erinnerungen eines ganz normalen Katholiken" basieren, die der 2009 verstorbene Gisbert Kranz verfasste.

Sämtliche Materialien wurden dem NS-Dokumentationszentrum von Dr. Margarita Kranz, der Tochter von Gisbert Kranz, zur Reproduktion zur Verfügung gestellt. Im NS-Dokumentationszentrum werden hochaufgelöste Scans sämtlicher Materialien aufbewahrt. Die Originale befinden sich weiterhin in Privathand.

Die Brüder

Gisbert Kranz wurde am 9. Februar 1921 als ältester von vier Brüdern in Steele geboren. Während seiner Zeit auf dem Gymnasium engagierte er sich mit großer Begeisterung im katholischen „Bund Neudeutschland“. Auch nach dessen Verbot 1939 durch die Nationalsozialisten blieb er als Gruppenführer aktiv und organisierte illegale Heimabende in seinem Elternhaus. Der Hitlerjugend tritt er nicht bei.

Unmittelbar nach dem Abitur leistete Gisbert Kranz im Frühjahr 1939 seinen Reichsarbeitsdienst, konnte anschließend aber sein Theologiestudium zunächst in Paderborn, später in Bonn aufnehmen. 1941 zur Wehrmacht eingezogen, wurde er nach der Grundausbildung an der Ostfront eingesetzt. Anfang 1942 schwer verwundet, musste er mehrere Monate im Lazarett verbringen, um sich danach zur Fortsetzung des Studiums für ein Semester beurlauben zu lassen. Anschließend wurde Gisbert Kranz als Unteroffizier zunächst in Danzig, später im Westen eingesetzt, wo er im Herbst 1944 in englische Kriegsgefangenschaft geriet, aus der er erst im April 1947 entlassen wurde.

Den Versuch, den Hoffnungen seines Vaters zu entsprechen und als einziger überlebender Sohn dessen Nachfolge im Geschäft anzutreten, brach Gisbert Kranz bereits nach einem halben Jahr ab, um erneut das Studium der katholischen Theologie aufzunehmen. Zudem studierte er nun Anglistik und Germanistik und promovierte schließlich. Danach war er als Gymnasiallehrer und Autor tätig. Den Verlust der Brüder, insbesondere jenen von Karl-Heinz, überwand er nach eigener Aussage nie. „Den Verlust meines Bruders, der zugleich mein bester Freund und Kampfgefährte war, habe ich bis heute nicht verschmerzt."

Zu Gisbert Kranz ist hier eine Lebensgeschichte einsehbar.

Der am 8. April 1924 in Steele geborene Karl-Heinz Kranz besuchte wie sein Bruder Gisbert die Volksschule St. Laurentius und anschließend das Gymnasium in Steele. Er trat als einziger Schüler seiner Klasse nicht in die Hitlerjugend ein, sondern engagierte sich - ebenso wie Gisbert - zunächst im „Bund Neudeutschland“ (ND) – selbst noch nach dessen Verbot. Vorher strikt getrennt, kam es dabei zu intensiven Kontakten zu anderen katholischen Jugendorganisationen wie der DPSG, die sich schließlich alle in der Pfarrjugend zusammenfanden. 1942 wurden einige ihrer Mitglieder, darunter auch Karl-Heinz Kranz, auf einer Fahrt nach Altenberg an die Gestapo verraten und des angeblichen illegalen Fortführens des Katholischen Jungmännerverbandes beschuldigt. Die Ermittlungen wurden allerdings aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Nach Anschluss der Schule arbeitete Karl-Heinz Kranz als Kaufmannsgehilfe, bis er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Er kämpft an der Ostfront und kam dort am 27. Januar 1945 ums Leben. Erst im September 1946 erhielt die Familie endgültige Gewissheit vom Tod des dritten Sohnes. Erst jetzt, rund 1½ Jahre nach dessen Tod und dem Kriegsende, wurden Todesanzeigen gedruckt und am 19. September 1946 das Requiem gehalten.

Zu Karl-Heinz Kranz findet sich hier eine kurze Skizze seiner Lebensgeschichte.

Der am 16. Mai 1925 geborene Günter Kranz wurde zur Luftwaffe eingezogen. Am 2. Oktober 1944 stürzte er ab und kam ums Leben. n seine letzten erhaltenen Brief an seinen Bruder Gisbert hatte er am 3. August 1944 geschrieben: „In 1½ Monaten bin ich sehr wahrscheinlich schon im Einsatz. Glaube kaum, daß ich vorher noch Einsatzurlaub bekomme. Bin mal gespannt, wann ich mir die Radieschen von unten ansehe. Viele meiner Kameraden haben dies zweifelhafte Vergnügen schon gehabt.“

Der am 1. August 1927 geborene Fritz Kranz war der jüngste der vier Brüder. Er war zuletzt als Angehöriger der Fallschirm-Ersatz- und Ausbildungsbrigade „Hermann Göring“ im Raum Graudenz/Danzig im Einsatz, wo sich im März 1945 etwa 50 km von Bromberg entfernt seine Spur verlor. Seitdem galt er als vermisst und wurde am 17. Juli 1974 für tot erklärt.