Marga Broil an ihren Mann August, 14. Januar 1945
26. Sonntag, den 14. Januar 1945.
Mein lieber August,
ein herrlicher Wintersonnentag ist heute, die Erde schläft unter der harten Eisdecke, der Himmel scheint so nah in seiner klaren Bläue. Die Menschen bleiben daheim in den Stuben, wo der Kachelofen eine behagliche Wärme ausströmt, mich aber treiben die sehnenden Gedanken hinaus, daß ich ein wenig allein sein kann mit ihnen und damit mit Dir, Du mein Liebster. Die festen Schuhe, die ich von den Zwillingen geerbt habe, und Deine Socken tun mir für solche Wege gute Dienste. Im Wald, unter dem Schutz der Bäume hat sich die Schneedecke noch erhalten, die auf dem Feld getaut und zu Eis erstarrt ist. Vor mir hat sie noch kein Fuß berührt, nur Haase und Reh haben ihre Spuren hinterlassen. Der Blick geht so frei über die weite Ebene und auch das Herz wird so weit, wie es die Schönheiten des winterlichen Landes in sich aufnimmt. Das Gemüt ist so wach für alles, was aus dem Inneren heraufsteigt und was die äußeren Wahrnehmungen an es herantragen. Da muß ich auf der Hut sein, daß ich es fest in der Hand behalte, denn allzu leicht geht es sonst mit mir durch. Drohend und finster tut sich mir der Kiefernwald auf, auf dessen weichen Nadelteppich ich langsam weiterschreite. Die Sonne hat bald das Ende ihres Tageslaufes erreicht, rot leuchten ihre Strahlen durch die Stämme der Bäume und tauchen den ganzen Himmel in rötliches Gold. An einer Lichtung
kann ich den ganzen Feuerball sehen, wie er sich der Erde zuneigt. Lange stehe ich so, dem Westen zugewandt und möchte den Strahlen der sinkenden Sonne all meine Gedanken mitgeben, die ja auch nur nach dort gerichtet sind. Dort schlägt in vielfacher Bedrohung das Herz, das dem Meinen Ein und alles ist, einziger Besitz, an den es sich noch klammert. Dort weiß ich in heimatlicher Erde den kleinen Leib unseres Kindes, den wir als Erstlingsopfer unserer Liebe dem Herrn schenken durften. Mögen auch die Bomben den Frieden seines Grabes zerstört haben, sicher wird der Schnee jetzt seine barmherzige Decke darüber gebreitet haben. Ach, daß beides so weit von mir ist! Aber seine Seele ist mir immer nahe, manchmal, so auch in dieser Stunde, spüre ich es besonders stark und ich glaube, daß sie auch die sicherste Brücke ist, auf der unsere Herzen, unsere Gedanken und unser Sehnen zueinanderfinden. – Derweil diese Gedanken mich so tief bewegen, ist die Sonne untergegangen, nur noch einen zarten roten Schein am Himmel zurücklassend. Langsam wende ich mich wieder dem Dorfe zu, denn rasch wie ein Vorhang senkt sich die Dunkelheit über die Heide. Solche Wege schenken mir immer viel Stille und tiefinnerliche Freude.
Schon in aller Frühe habe ich im Gebet der Liturgie den Sonntag gefeiert. Es ist ja für mich die einzige Möglichkeit, wie ich den Tag des Herrn begehen kann. Ob es Dir wohl in der gleichen Weise mögliche war? Das Evangelium von der Hochzeit zu Kanaa ließ wieder so viele gute Gedanken über
unsere von Gott gefügte Gemeinsamkeit in mir wach werden. Wie wir an unserem Hochfesttag es aus jubelndem Herzen gesungen haben: Erde singe, daß es klinge, laut und stark dein Jubellied … singt ein Danklied eurem Meister … so wollen wir es auch jetzt tun, nachdem uns ein Jahr gemeinsamen Weges geschenkt wurde. Ja, wir haben Grund genug zu danken und wollen es frohen Herzens tun. – Und noch eine schöne sonntägliche Stunde habe ich heute gehabt. Du hast die mir bereitet, denn ich habe sie in so guter Gemeinschaft mit Dir zugebracht. All Deine lb. Briefe habe ich mir wieder hervorgeholt und nochmal gelesen. Jedesmal haben sie mir wieder Neues zu sagen und immer wieder werde ich froh an ihnen.
Nun hat der Krieg auch in den unberührten Frieden der Heide mit unerbittlicher Hand eingegriffen. Große Strecken Wald werden „anderen Zwecken“ zugeführt, das ist bitter für die Besitzer, die es als Erbe von Jahrhunderten übernommen haben. Es greift ans Herz, wie die Bauern weinend in der Stube sitzen und über den Verlust nicht zu trösten sind. Elisabeth ist schwer krank. Ich sitze den ganzen Tag an ihrem Lager, singe und erzähle ihr Geschichten, daß sie das Kranksein darüber vergißt. Wieviel Mühe und Sorge kostet so ein einziges kleines Menschenleben, und der Krieg rafft mit unerbittlicher Hand Tausende hinweg. Ach, daß dieses Wüten doch bald ein Ende nehmen wolle! Nun ist auch im Osten wieder die Schlacht
entbrannt, die viele Herzen in Sorge um ihre Lieben erzittern läßt. Wir müßten ohne Unterlaß bitten und flehen, daß dieses Tage der Prüfung „abgekürzt werden“, denn des Herrn Wille ist auf unser Heil gerichtet und Er wird auch die Tage der Trübsal wenden, wenn Sein Wille es beschlossen hat. Zwar müssen wir bekennen, daß wir und die Menschen unserer Tage, die sich so sehr von Gott abgewandt haben, von der Gerechtigkeit des Herrn nichts besseres erwarten können; aber wir hoffen auf Seine Barmherzigkeit, die auch „um nur 10 Gerechter willen“ bereit ist, das Urteil abzuwenden. Wie wehe muß es Seinem gütigen Herzen tun – wenn wir in so menschlichen Begriffen von Gott reden dürfen, - wie die Menschen ihr Unheil selbst wirken, während Er doch nur auf unser Heil sinnt. Wir wollen uns Seinem weisen Plan nicht entgegensetzen, sondern uns ganz Seiner Führung anheimstellen. Wir werden uns immer einsam finden in diesem Bemühen, es scheint, als ob wir dazu verurteilt seien, stets „gegen den Strom zu schwimmen“ in dieser Welt. Doch wir sind auch darin nicht so einsam, wie es uns vorkommt, wir wissen uns eins mit den Vielen vor uns, deren Weg uns Vorbild ist und manchem Gleichgesinnten neben uns, der in Stille und Verborgenheit dem Gleichen zustrebt. Wir aber können uns immer wieder aneinander ausrichten und aufrichten und wissen uns eins in diesem Bemühen. Liebster, ich grüße Dich herzlich froh an diesem Sonntagabend
Deine Marga.