Marga Broil an ihren Mann August, 25. Januar 1945
32. Reinstorf, den 25. Januar 1945.
Mein lieber August,
nur einen Teil Deines Briefes v. 22.12. habe ich in meinem letzten Brief beantwortet, indem ich Dir noch mehr von dem neuen Empfinden meines Herzens und der Traurigkeit sagte. Du rührst mit so feinen, zarten Worten an die verborgenen Wandlungen in meinem Innern, die das Erleben des Mutterseins in mir bewirkt haben, und Du tust das so behutsam, mit so viel Liebe und Ehrfurcht, daß mir dabei zu mute ist, als schlössest Du mich still in Deine Arme. Und wie es im wirklichen Zusammensein ist, daß Dein Gutsein erst die schönsten Saiten meines Herzens zum Klingen bringt, so geschieht es auch im Geistigen, daß Deine lieben Worte das Verlangen zu ganzer Hingabe in mir wecken. Ihrem stillen, zarten Werben öffnen sich behutsam die Türen, die vorher alles im Reich des Unbewußten verborgen hielten, und wie sie es mir offenbar werden lassen, so soll es auch Dir kund werden.
Ich habe Dir von meinem Gang durch die Heide erzählt und Du knüpfst daran so gute Gedanken, aus denen uns manch wertvolle Erkenntnis für unsere Gemeinsamkeit ward. Was mich bei diesem Gang durch die Natur zum ersten Mal wie ein Ahnen überkam, habe ich in den letzten Tagen öfter und stärker noch erfahren. In der Weite der Heide überfiel mich ein Gefühl der Verlorenheit, wie ich es noch nie empfunden habe, und die klare, winterliche Luft, in der keine Wolke, kein Nebel etwas einhüllte, ließ das Gefühl des Preisgegebenseins nur noch stärker werden.
Als ich noch zu Hause war und Winfried unter meinem
Herzen lebte, habe ich ähnliche Empfindungen gehabt, glaubte sie aber durch die ständige Bedrohung durch die Kriegsgeschehnisse erklären zu können. Als Du dann bei mir warst hier im Frieden der Heide, war das alles einer schönen Ruhe und dem Gefühl der Geborgenheit gewichen. Nun ab er, da ich wieder alleine bin, ist es mir so, als ob ich von irgend einem Ungemach ständig auf der Hut sein müßte; wenn ich allein in den Busch gehe, kann mich ein ganz harmloses Geräusch erschrecken lassen und ich erinner mich fast beschämt meiner Mädchenjahre, da ich so furchtlos war bei solchen Gelegenheiten. Ich konnte mir diese Wandlung garnicht erklären und meinte mit dem Aufwand des ganzen Willens dagegen angehen zu müssen. Du aber, mein lieber August, läßt mich den Grund zu diesem Anderssein in tieferen Schichten suchen. Ich bin nicht mehr das Mädchen, das mit einer gewissen Selbstsicherheit seinen Weg geht und glaubt, keinen anderen Menschen nötig zu haben; unsere Liebe zueinander hat mich Deine Frau werden lassen und Mutter unseres Kindes, und dieses Frau- und Muttersein hat mein ganzes Wesen umgeprägt, ich gehöre einfach zu Dir und mein Leben kann nur in der Gemeinsamkeit mit Dir, an Deiner Seite seine ganze Erfüllung finden. Das Alleinsein, das für das Mädchen eine Selbstverständlichkeit war, ist für die Frau eine Härte, ja, ich möchte fast sagen, ein unmöglicher Zustand, weil er zutiefst gegen ihre Natur ist. Die Sehnsucht, dem geliebten Mann das sein zu dürfen, was ihre eigentliche Berufung ist, ganz Frau,
läßt zugleich das Verlangen wach werden, sich selbst in die starke Hut, in die stille Geborgenheit seiner Liebe geben zu können. Das Erleben des Mutterseins ließ mich die ganze Kostbarkeit der Kräfte von Leib und Seele erkennen, die der Herrgott in uns hineingelegt hat. So herrlich durften sie sich unter der Sonne der Liebe entfalten. Und weil ich sie schauen und erkennen durfte, stieg auch das Verlangen in mir auf, - und ich spüre wie es meist unbewußt in mir wirkt – sie zu hüten, zu schützen und zu bewahren, daß nichts von ihrem Wert verlorengehe bis uns das Glück wieder geschenkt wird, sie in ihrer ganzen Fülle wirken zu lassen.
Als ich dieser Sehnsucht nach Geborgenheit zuerst ahnend inne wurde, schien mir dieser neue Zug meines Wesens gegenüber der früher empfundenen Selbstsicherheit wie ein Verlust zu sein. Nun aber sehe ich darin den Fortgang einer natürlichen Entwicklung und weil sie mich näher hinbringt zu Dir und mich noch tiefer und endgültiger in unsere Gemeinsamkeit hineingibt, freue ich mich darüber. Ja, Liebster, und ich trage das alles zu Dir hin, so wie ich es spüre und erkenne, denn auch jetzt in der Zeit der Trennung sollst Du mich ganz haben, so wie ich Dir gehöre.
Wieder sind zwei Briefe zu mir gekommen, vom 29.12. der so schön schlicht einfach etwas mit mir plaudern will, und der vom 8.1. Jeder Deiner Briefe schildert mir so gut die Verfassung Deines Innern in der Stunde, da Du ihn mir geschrieben hast. Als ich in dem letzten Brief
nur den ersten Satz gelesen hatte, wußte ich gleich, daß er aus einer Stunde kam, die nicht leicht für Dich war. Und wenn Du aus solch einer Stunde doch ein Wort an mich richtest, ist es mir besonders wert, besonders dann, wenn ich sehe, daß Du über dem Schreiben das anfängliche Unvermögen überwunden und es sogar zu einem herzlichen Wort gebracht hast. Damit ist es dann genau so wie mit den zarten Zeichen des Zugetanseins, von denen Du einmal im Scherz sagtest, daß sie dann besonders wertvoll seien, wenn Du sie Dir hast abringen müssen. –
Nun weiß ich wenigstens, daß einige meiner Briefe inzwischen zu Dir hingelangt sind. Schade, daß der Weihnachtsbrief sich so verspätet hat, während ich das Glück hatte den Deinen am hohen Fest als Deine Gabe zu besitzen. Zwei Wochen hatte ich für seine Reise gerechnet und ich konnte ihn nicht eher schreiben, bis mein Herz anfing sich dem weihnachtlichen Geschehen zu bereiten; denn solche Dinge lassen sich nicht improvisieren, und es wäre mir wie eine Unehrlichkeit vorgekommen, wenn ich Dir Worte geschrieben hätte, die nicht im Einklang mit der Verfassung des eigenen Herzens gestanden hätten. Aber wenn die Post uns auch manches Wort vorenthält wir wissen, daß unsere Gedanken und unsere Sehnsucht den weiten Raum der Trennung überbrückt, so fest und innig wie es im geschriebenen Wort kaum möglich ist. So soll es auch jetzt wieder sein, da ich in diesem Brief wieder Abschied von Dir nehme, all meine Liebe und meine sehnenden Gedanken soll er mitnehmen hin zu Dir und Dir sagen wie sehr ich bin
Dein Marga.