Marga Broil an ihren Mann August, 20. Februar 1944

Köln, den 20. Februar 1944.

Mein lieber August.

Es ist Sonntagabend. Allzu schnell eilen die Stunden des Herrentages dahin, auf den ich doch die ganze lange Woche über in Freude Ausschau halte. Die Feier der Frühmesse war des Sonntags würdig und ich habe sie aus innerstem Herzen mitgefeiert. Weißt Du wie schwer es mir wurde, vorigen Sonntag auf die volle Teilnahme verzichten zu müssen? – Mit Heinrich Bachmann hatten wir heute ein paar Stunden fruchtbaren geistigen Austauschs; aber auch der Körper ist in einem feinen Weg durch den verschneiten Stadtwald zu seinem Recht gekommen, mit kalter Nase und roten Wangen bin ich eben heimgekommen. All die Gedanken Deines Briefes, den ich gestern abend nach der Komplet vorfand, haben mich auf diesem Weg begleitet, und ich wünsche nur, Dir jetzt aus der stillen Abgeschlossenheit unseres Heimes alles so darauf erwidern zu können, wie ich es in der gedanklichen Zwiesprache mit Dir schon getan habe.

Liebster, Dein Brief, der mir so viel aus der Tiefe Deines Innern hervorgeholt hat, ist er nicht wie ein Kilometerstein am Wege unserer Gemeinsamkeit, auf dem wir die neu

vorangeschrittene Strecke erkennen können? Und wenn Du am Ende dieses bedeutsamen Briefes sagst, daß auch das Schwere und Ernste, das wir „einander“ uns im Hinblick auf die gemeinsame, wirkliche Freude sagen müssen, uns froh machen soll, so drängt es mich Dir zus agen, welch frohmachende Steigerung der um Dich kreisenden Gefühle und Gedanken das alles in mir bewirkt hat. Unser Sehnen und Verlangen ist ja darauf gerichtet, in gemeinsamem Bemühen aller Kräfte unseres Menschseins zu einer möglichst vollkommenen Einheit zu gelangen. Und wie leuchtet mir dieses Bemühen aus jeder Zeile Deines Briefes mit aller Offenheit und Wahrhaftigkeit entgegen! Weißt Du, welch neue Tiefen der Liebe dadurch wieder in mir aufgebrochen sind? Ein solches Wort, das einer unguten, fast leer scheinenden Stunde abgerungen ist und die Hintergründe seines Unvermögens aufzeigt, kann uns oft tieferen Einblick in das Innere des geliebten Menschen gewähren, uns seiner Wirklichkeit näher bringen, als der Wohlklang, der der Hochstimmung des Herzens entströmt, - obgleich wir wohl schwerlich ganz auf dessen Beseligung verzichten könnten.

Aber es geht ja um mehr, als nur darum, daß wir den Empfindungen unserer Herzen in möglichst schönen

Worten Ausdruck verleihen, das ist nur ein geringer Teil, und mit Stückwerk kann sich die Liebe nie begnügen; sie ist bestrebt den geliebten Menschen in seiner ganzen Existenz zu schauen, zu erkennen, um dadurch seine ganze Wirklichkeit mit allen Licht- und Schattenseiten mit ihrer Kraft und Wärme tiefer und inniger zu umfangen. Wir können unserer Gemeinsamkeit daher den besten Dienst erweisen, wenn wir den Bemühungen um tiefere Einsicht in das Wesen und Sein des anderen mit ganz bereiten, weit aufgetanem Herzen entgegenkommen. Mit welch – ich möchte fast sagen rücksichtsloser Ehrlichkeit hast Du das in diesem Brief wieder getan. August, ich danke Dir dafür. Und daß es aus einer inneren Notwendigkeit heraus geschieht, ist mir eine ganz besondere Freude, denn ich weiß ja, daß es Dir sonst garnicht möglich wäre. Könnte ich Dir doch sagen was es mir bedeutet, wenn Du mit diesen Dingen, mit diesen Problemen zu mir kommst. Du weißt es nicht, was Du mir damit gibst, wie könntest Du sonst so einseitig von „Hilfe brauchen“ in diesem Zusammenhang sprechen. Ach, es ist ja so ein lebendiges Wechselspiel von fortwährendem Geben und Nehmen, das sich zwischen uns vollzieht, daß sich die Begriffe kaum noch trennen

lassen, wir sind Gebende und Nehmende, Empfangende und Gewährende zugleich. In welchem Maße aber gerade mir als Frau das Geben-Dürfen ein beglückendes Beschenktwerden, das liebende Gewähren die Form des Empfangens bedeutet, die dem innersten Verlangen am meisten entspricht – ich weiß nicht ob ich Dir das so klar machen kann, damit Du es nachempfinden kannst. Diese Wechselwirkung des Gebens und Nehmens, des Gewährens und Empfangens gilt in gleicher Weise im Geistig-Seelischen wie im Körperlichen, und nur wenn diese Wechselwirkung erzielt wird, kann die Beglückung, die uns daraus geschenkt wird, in höchster Vollkommenheit verkostet werden.

August, Du schreibst mir von dem Wechsel der Stimmungen, dem Einfluß des Außen auf das Innen, dem Du so stark unterworfen bist. Das was Du mir schreibst, habe ich im Zusammensein mit Dir manchmal mit erschreckender Deutlichkeit gespürt oder geahnt. Noch in unseren letzten gemeinsamen Tagen habe ich erlebt wie bei Dir die schönsten Gefühle des Glückes plötzlich durch den geringsten Anlaß ins Gegenteil stürzten und alles hohe Erleben ausgelöscht zu sein schien in Unlust. Mir war solch jäher Sturz zunächst so unbegreiflich, da ich nie selbst so

etwas erfahren hatte, daß ich mir ganz hilflos vorkam. Aber es ist gut, Liebster, daß Du uns die Frage gestellt hast, was wir tun sollen, denn hier ist wirklich ein Punkt, wo wir gemeinsam ansetzen müssen.

Die Beziehung des Äußeren zum Innern hat ihre große Bedeutung für die Gestaltung des Menschen. Wie wird sie immer wieder benutzt und mißbraucht, um Einfluß auf das Leben des Menschen zu gewinnen. Auch die Kirche, die große Lehrmeisterin der Menschheit hat sich dieser Beziehung bedient, um sie im höchsten Maße positiv auszuwerten in der Heiligung der Menschen. (übernatürliches Geschehen findet in sinnlichen Wahrnehmungen Ausdruck: Sakramente, Liturgie).

Bei unserem gemeinsamen Bemühen, die Abhängigkeit des Innern von Äußern auf das rechte Maß zu beschränken, in die Ordnung der Kräfte hineinzustellen, glaube ich, daß uns auch hier die Verschiedenheit unseres Wesens zu Hilfe kommt und mit dazu beiträgt, einen fruchtbaren Ausgleich zu schaffen.

Bei einem normalen Zusammenleben ließe sich schon in der rechten Gestaltung des äußeren Lebens viel tun, um eine negative Beeinflussung des inneren durch das äußere zu unterbinden. Aber dazu ist uns ja

fast jede Möglichkeit genommen, die äußeren Umstände unseres Lebens sind fast nur noch Gegebenheiten, mit denen wir uns abfinden müssen. Wir können also nicht vom Rande her beginnen, sondern müssen von der Mitte ausgehen, müssen in unserm Innern ansetzen, so daran formen und arbeiten, daß seine Kräfte stärker sind als alle Einflüsse von außen. Ich meine es müßte mit Hilfe des Willens, der allen Schwankungen, die über den gesunden Rythmus des Lebens hinausgehen, Einhalt gebietet möglich sein, eine gewisse Unabhängigkeit unseres Inneren zu erreichen. Diese Unabhängigkeit scheint mir besonders in unserer Zeit so nötig zu sein, da unser äußeres Erleben ständig den schwersten Erschütterungen ausgesetzt ist. Freilich wollen wir uns nicht gegen die Einwirkungen von außen verschließen – unser inneres Leben wäre tot, wenn es sich in sich selbst abkapseln wollte, - aber es muß so gefestigt sein, daß es nicht jedem Wind von außen gelingt, es aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Mein lieber August, das hört sich alles so furchtbar nüchtern und sachlich an, aber ich weiß die Gedanken nicht anders auszudrücken. Im Gespräch ginge das

alles viel leichter und im Zusammensein ließe sich die Erkenntnis gleich in die Tat umsetzen. Aber wir wollen bei aller Begrenztheit der Möglichkeiten zu gemeinsamem Wirken froh und dankbar dafür sein, daß wir trotzdem mit jedem Tag tiefer in unsere Gemeinsamkeit hineinwachsen, die Raum genug bietet, um alles Glück und alle Freude, alle Schwierigkeiten und Nöte unseres Lebens zu umspannen. Ja, Liebster, wir wollen immer wieder mit aller Offenheit und Ehrlichkeit unser ganzes Menschsein in unsere Gemeinsamkeit hineingeben, auf daß durch die Gnade Gottes und unser Bemühen das eine neue Menschenbild erstehe, das wir daraus in unserer Ehe formen sollen. Du, und wir dürfen mit Freude un Zuversicht an unsere große Augabe herangehen, wissen wir doch um die große Kraft „unseres“ Sakramentes, das in all unserem Bemühen wirksam wird.

August, Liebster, so wie Du bist, so wie ich Dich immer mehr erkennen, schauen und erfahren darf will ich Dich in mir tragen

Deine Marga.

Ist Dein Hautausschlag wieder besser oder plagt er Dich immer noch?

Toni Kramer ist vorige Woche nach Rußland ausgerückt. Seine kleine Anneliese ist tapfer und froh im Gedanken an das Kindlein, das ihnen geschenkt wird.