Marga Broil an ihren Mann August, 15. April 1944
Am Samstagnachmittag, den 15.IV.44.
Mein lieber August,
wieder liegt die Arbeit einer Woche hinter uns und da ich auch unser Heim für den Sonntag bereitet habe, komme ich nun zu Dir, um eine Weile ganz bei Dir zu verharren.
Mit dem Osterfest hat der Frühling Einzug gehalten, warm und hell leuchtet mir die Sonne ins Fenster herein. Genau so hell und froh sieht es in meinem Innern aus, seitdem Du, Liebster, in den österlichen Tagen bei mir warst. Wie gut meint der Herrgott es doch mit uns, da Er uns noch so oft und tief das Glück des Zusammenseins erleben läßt, ehe wir vielleicht lange darauf verzichten müssen. Wir hatten doch, als Du letztes Mal hier warst, Abschied voneinander genommen, wie auf lange Zeit hinaus; alles hatten wir miteinander besprochen, was uns beide, unsere Familie und unser Kindlein angeht. Und nun bist Du doch noch einmal gekommen und weil wir doch eigentlich garnicht damit rechnen konnten, erschienen mir gerade diese kurzen Stunden, die Du bei mir warst, als ein freies, gar ein zusätzliches Geschenk, mit dem uns die Güte Gottes erfreuen wollte. Wie ein Geschenk haben wir ja auch alles hingenommen, was uns die Stunden der Gemeinsamkeit gebracht haben, mit offenen Armen und weit aufgetanen Herzen. Ach August, was müßten wir nicht alles tun, was müßten wir nicht aus uns machen, wenn wir uns nur ein klein Wenig dankbar zeigen wollen für all das, was wir wieder empfangen haben. Laßt uns
täglich neu in allem, was an uns herantritt, aus der Kraftquelle schöpfen, die uns im Glückl unseres Erlebens zuteil geworden ist, dann wird es uns unverlierbar sein.
Nun steht Dein Bild wieder vor mir auf dem Schreibtisch und wenn ich es beim Schreiben einhaltend betrachte, halten meine Gedanken Zwiesprache mit Dir. Das Bild, auf dem Du die Schnecke in der Hand hältst, ist mir am liebsten; doch keines zeigt Dich so, wie das Bild, das ich von Dir in meinem Herzen trage. Sieh' und dieses Bild wird mit jedem Zusammensein schöner, klarer und wirklicher. Wie viele neue Linien und Züge, ganz fein und zart und nur dem liebenden Herzen erkennbar, haben die Stunden des Osterfestes wieder da hineingezeichnet; ganz fest und tief hat es sich in mein Inneres gesenkt und in stillen Stunden des Alleinseins steigt es an die Oberfläche des Bewußtseins, um mich immer wieder zu beglücken. Gestern mittag habe ich solch eine schöne stille Stunde in der warmen Mittagssonne im Römerpark erlebt. Ich fühle mich Dir dann so nahe, daß ich meine, Du müßtest etwas von meinen Gedanken spüren, die wie ein unmittelbares Gespräch zu Dir gehen.
Als ich gestern abend beim Reinemachen der Wohung überall noch die Spuren Deiner Soldatenschuhe fand, tat es mir fast ein wenig leid, sie entfernen zu müssen. Wie in meinem Herzen, so haben sich auch all den Dingen, die mich täglich umgeben, die Spuren Deines Hierseins unverlierbar eingeprägt und jedes kann mir auf seine Weise von Dir erzählen.
2)
In der Trübe des Weißen Sonntags.
Gestern konnte ich den Brief nicht mehr fertig schreiben. Der Elektriker kam, um die Lampe im Wohnzimmer anzubringen und nachher wurde es Zeit zur Komplet.
Machtvoll zeigte sich gestern abend das Kommen des Frühlings in Blitz, Donner und Regen eines schweren Gewitters an. Es tat mir dabei recht wohl, die Macht der Naturgewalten zu verspüren, in denen der Vollzug der Ordnung Gottes erkennbar ist, ohne dem Eingriff und der vermessenen Willkür der Menschen preisgegeben zu sein. Doch wer von den Menschen unserer Tage wird noch von dem Geschehen der Natur beeindruckt und erkennt dahinter das Walten der Allmacht Gottes? Tagtäglich hält uns die zerstörende Gewalt der Welt, die mit der Macht des Bösen im Bunde steht - hätte sie sonst ein so grauenhaftes Ausmaß annehmen können? - im Heulen der Sirenen und Krachen der Bomben in Bann. Wen kann da noch Blitz und Donner, vor denen die Menschen vor uns erzitterten, beeindrucken?
Heute morgen bin ich ganz früh zur hl. Messe gegangen, um noch ein Teil des Sonntages mit Dir in unserem Heim allein sein zu können, ehe ich gleich zu den Eltern fahre.
Weißer Sonntag. Wir denken an den Tag unserer Kindheit, der uns so viel bedeutet hat und danken dem Herrn aus tiefem Herzen für die Fülle der Gnaden, die Er uns aus der Vereinigung mit Ihm in all den Jahren unseres Lebens hat zufließen lassen. Wenn ich heute all die Kleinen sehe, die ihren Festtag begehen,
kommt mir immer die Frage, ob sie auch in den Stürmen des Lebens zu halten vermögen, was sie dem Herrn heute im Taufgelübde versprochen haben. Wieviele, die Ihm im weißen Kleid eines unschuldigen Kinderherzens ihr „Hosanna” zugerufen haben, schleudern Ihm heute mit der Masse das „Kreuzige ihn” entgegen. Welch großes Wagnis liegt doch in unserem Christsein beschlossen; wie könnten wir es auf uns nehmen, wenn nicht im Vertrauen auf Seine Hilfe? Als Menschen sind wir ja nicht mehr als alle, die wir um uns fallen sehen, und sind die Fehler und Schwächen, die wir täglich an uns erfahren, nicht Beweis genug für das „allzu Menschliche” in uns? Wir wollen den Herrn nur immer wieder mit den Emmausjüngern bitten: Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden! Manchmal will das Dunkel der Zeit und des Krieges uns jede Hoffnung auf das Licht des kommenden Tages rauben. Laßt uns dann all unsere Not und Bedrängnis in die Bitte hineinlegen: Herr, bleibe bei uns! Wenn Er bei uns ist, dann vermag uns auch die tiefste Finsternis nicht zu bedrohen. Sieh' mein August, das ist auch mein tägliches Gebet für Dich, daß der Herr, so wie Er sich mit mir vereint im Sakrament, auch zu Dir kommen möge und Dir das Bewußtsein Seiner Nähe schenken möge in aller äußeren Einsamkeit und Verlassenheit; daß er bei Dir bleiben möge in allen Gefahren, die Dir für Leib und Seele drohen. Ach, solches Beten macht so froh und zuversichtlich und läßt es auch dann wieder
3)
ganz hell in mir werden, wenn die Traurigkeit mich überfallen will. Wie könnten wir auch sonst mit dem Ernst und der Aussichtslosigkeit unserer Zeit fertig werden, wenn nicht in der Hinwendung zu Gott, die aus dem unbedingten Vertrauen erwächst, daß Er letztlich alles zu unserem Heile wirken wird. „Das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube!” ruft uns heute Johannes aus der ganzen Glut seines Herzens zu. - Ach, unser Glaube ist oft noch so klein und verzagt, daß auch uns das vorwurfsvolle Wort des Herrn im Evangelium trifft: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig.” Freilich wird auch unser Glaube oft auf eine harte Probe gestellt, ebenso wie einst bei den Aposteln nach dem Tode des Herrn. Auch unsere Augen sind vom Dunkel zuweilen gehalten, daß wir aus der Tiefe unserer Kleinmut nur noch beten können: Vermehre unseren Glauben! Aber der Herr weiß ja um alles und wird unserem guten Willen Seine Hilfe nicht versagen. Wie tröstlich ist doch Seine Verheißung: Selig, die nicht sehen und doch glauben!
Mein August, ich stehe noch ganz im Banne der Nachricht, die mich gestern erreichte. Wieder sind zwei frische junge Menschen, mit denen uns die gleiche Ausrichtung des Herzens verband, mitten aus dem Mühen und Kämpfen dieses Lebens in das andere Leben, das der ewigen Vollendung, abberufen worden. Magda Berg und Hans Schnell aus Berg. Gladbach (Magda kanntest Du ja und von Hans habe ich Dir schon
gesprochen) sind bei dem furchtbaren Angriff auf Aachen mit der Familie Albert Steiner ums Leben gekommen. Hans hatte nur einige Tage Abstellungsurlaub und war mit Magda nur zu einem kurzen Besuch nach Aachen gefahren; am vorigen Samstag waren wir nach der Komplet noch eine Weile in frohem Gespräch zusammen. Es packt einen doch ordentlich, wenn der Tod liebe Menschen so unmittelbar von unserer Seite wegreißt. Aber auch diese Nachricht am Ende der Osterwoche hat mich so recht in meiner Ansicht bestärkt, die ja unsere gemeinsame ist, daß der Herrgott die Menschen abberuft, die Er zu sich heimholen will, deren Tage voll sind. Mußten die beiden nicht ausgerechnet an dem Tage nach Aachen fahren, damit sie dort den Tod fanden? Lange Zeit war Hans in Rußland, vor einigen Monaten hat er eine Genickoperation, (Entfernung eines Steckschusses), die auf Leben und Tod ging, gut überstanden und jetzt hat ihn der Tod so ganz unerwartet ereilt. Für die beiden müßten wir uns, trotz aller menschlicher Trauer, eigentlich freuen, denn wir dürfen hoffen, daß sie nach der Feier des irdischen Osterfestes bald ihr ewiges Ostern in vollkommener, ungetrübter Freude begehen können.
Mein August, unsere menschliche Existenz ist doch in eine große Unsicherheit gegeben, wüßten wir nicht, daß hinter allem Geschehen verborgen der Wille Gottes waltet. Laßt uns miteinander und füreinander beten, daß der Herr uns bereit findet, wenn unsere Stunde kommt. Mein August, Liebster, ich grüße Dich in stillem Gedenken mit aller Freude, die unsere Liebe uns ins Herz senkt und bin jetzt mehr denn je
Deine Marga.