Marga Broil an ihren Mann August, 20. Juli 1944
Dein Dein Dein will ich allzeit bleiben,
gibst mir Kraft und hohen Mut
und hilfst mein Leid vertreiben.
Köln, den 20. Juli 1944.
Mein lieber August,
was ist das wieder für ein lieber Brief, den Du mir zu meinem Namenstag geschrieben hast. Heute, da die Kirche überall das Gedächtnis der hl. Margaretha feiert, habe ich mich wieder daran erfreut. Den anderen Brief, den Du darin erwähnst, habe ich bisher noch nicht erhalten. Du schreibst, Du habest Dir darin Gedanken gemacht über den Monat Juli, als unserem bedeutungsvollen Sommermonat. Die gleichen Gedanken kamen mir am Sonntagabend, als ich nach Verabschiedung unserer Gäste noch einen kleinen Abendspaziergang unter den blühenden Linden am Rhein machte. An einem Sonntag dieses Monats war es, daß wir nach all dem furchtbaren Geschehen der letzten Wochen das Glück unserer Gemeinsamkeit in einer Fülle verkosten durften, wie nie zuvor. Du brachtest mir als Gabe zu meinem kurz vorher gewesenen Festtag die Hymnen an die Kirche mit und es war mir eine besondere Freude, daß Du gerade dieses Buch für mich gewählt hast. Es wurde mein erster Besitz, nachdem mir alles andere genommen war, und wie oft habe ich seitdem in stillen Stunden seine tiefen Gedanken und seine wunderbaren Worte auf mich wirken lassen. Liebster, wie schön ist es doch, wenn jetzt in der Zeit des Alleinseins unsere Gedanken immer wieder zurückgehen in die gemeinsam erlebten Stunden. Wir können jetzt noch
in der Erinnerung daran so viel Freude aus ihnen schöpfen.
Liebster, heute muß ich zunächst noch eine praktische Frage mit Dir besprechen, ich will sie gleich zu Beginn erwähnen, sonst vergesse ich sie über den anderen Gedanken. (Das ist ja einmal meine schwache Seite!) Ich schrieb Dir bereits davon, daß ich von Rheinbach eine Zusage für die Aufnahme zur Entbindung bekommen habe. In der Zwischenzeit hat sich Familie Over in Marialinden bei Overath bemüht und auch von dort eine Zusage erhalten. In Marialinden habe ich die Möglichkeit beliebige Zeit vorher und nachher bei einer Nichte von Herrn Over ein Zimmer zu mieten, während ich in Rh. Nur für die Zeit selbst unterkommen kann. Es stehen mir also beide noch offen und ich weiß nicht recht wofür ich mich entscheiden soll. Ich hatte ja an sich [...] möglich hier zu bleiben, aber seitdem uns die Flieger wieder Tag und Nacht keine Ruhe lassen, sehe ich doch ein daß es richtiger ist, wenn ich schon ein paar Wochen vorher in eine ruhigere Gegend gehe um mich seelisch und körperlich zu stärken und auf das große Geschehen der Geburt unseres Kindleins vorzubereiten. Schreibe mir doch bitte einmal was Du dazu denkst und für am richtigsten hältst.
Seitdem die Eltern am Sonntag hier waren reißt die Kette der Besucher nicht ab. Paula Schwarz, deren Bräutigam nach Bremen zu den Werfern eingezogen wurde, kam um mal ihr Herz bei mir auszuschütten. Wenn ich so höre mit welchen inneren und äußeren Schwierigkeiten andere kämpfen müssen, so frage ich mich immer wieder wie es möglich ist, daß wir auf so geradem Wege zu unserer Gemeinsamkeit gelangen konnten.
Und wenn ich höre wie andere zueinander stehen, wie sie ihre Liebe in Brautzeit und Ehe erleben, dann denke ich im stillen immer: ach, bei uns ist es doch am allerschönsten. Manchmal mache ich mir dann Vorwürfe, das sei Überheblichkeit, aber eigentlich muß doch jeder so denken, dem das Erleben der Liebe eine solche Fülle von Glück geschenkt hat wie uns beiden. Und wir sind uns ja stets bewußt gewesen, daß es niemals unser eigener Verdienst sein konnte, sondern ein besonderes Geschenk Gottes, und als solches haben wir es immer mit dankbaren, bereiten Händen angenommen. Bruno's Helene war gestern abend bei mir. Wir haben ein Stündchen zusammen geplaudert, unterdes das Jäckchen für unser Kindlein gute Fortschritte machte, und ich war erstaunt welch ernste, vernünftige Ansichten sie vertritt; bis jetzt habe ich sie ja nur von der anderen Seite kennengelernt. [...]
Gestern nachmittag kam Agnes. Ich war froh, ihr von den übriggebliebenen Stücklein von Sonntag noch etwas anbieten zu können. Sie muß ja immer dafür sorgen, daß sie bei solchen Gelegenheiten auf „ihre Kosten kommt” und hatte wieder allerlei Probleme auf Lager. - Als dann heute mittag noch Frau Abels kam, weißt Du die Freundin der Mutter, die an unserer Verlobung da war, wurde es mir doch bald des guten zu viel. Aber das ist wieder recht egoistisch so zu denken, die Menschen sind uns alle so gut, da muß man ihnen auch schon mal gerne ein Stündchen opfern. Alle sind über mein gutes Aussehen und meine Beweglichkeit erstaunt und verschiedentlich habe ich anderen gegenüber die Bemerkung gehört, ich sei noch nie so schön gewesen wie jetzt. Du weißt was ich von solchen Äußerungen halte, aber in diesem
Zusammenhang hat es mir Freude gemacht. Was die Menschen als „schön” bezeichnen, kann es etwas anderes sein als der Widerschein des inneren Glückes, das sich ja auch nach außen hin garnicht verbergen läßt.
Jetzt hätte ich über dem Schreiben bald meine Erbsen anbrennen lassen, aber es hat gerade noch gut gegangen. Wenn Du wieder bei mir bist, kann mir das aus dem Grunde wohl nicht mehr passieren, denn dann habe ich das Briefschreiben ja nicht mehr nötig, dann wird diese so liebgewonnene Beschäftigung durch das gemeinsame Leben abgelöst, wo keine Brücke mehr nötig ist, wo alles von Mund zu Mund, von Herz zu Herzen gehen kann. Mein liebster August, wie muß uns einmal dieses gemeinsame Leben in unserer Familie beglücken, wenn uns schon die Gedanken daran so sehr erfreuen können? Ach Liebster, ja es wird ein schönes Leben geben und wir wollen jetzt schon alles daransetzen uns ihm zu bereiten.
Wieder neigt sich ein Tag zu Ende und mein letztes Tun ist ein Wort an Dich. Dann aber werde ich wieder vor unser Kreuz treten, das uns so oft in gemeinsamem Beten gesehen hat. Ich zünde wieder die Kerze an, das Licht ihrer Flamme soll mein Gebet begleiten vor das Angesicht des Herrn, sie soll stellvertretend für Dich da sein, der Du so weit von mir sicher auch vor dem Schlafen ein Gebet zu Ihm emporschickst. Liebster, und all mein Bitten für Dich, die ganze Sehnsucht meines Herzens lege ich hinein in das Zeichen des Kreuzes, das ich über den weiten Raum hinweg zu Dir hinschicke. Komm, nimm es auch jetzt wieder entgegen von meiner Hand. Gott behüte Dich!
Deine Marga.