Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 17. Mai 1941

In Holland, am 17. Mai 1941

Lieber Rudolf!

Seit einigen Tagen sind unsere Rekruten hier. Damit war ich vor die Frage gestellt: wie die Leute als Rekrutengefreiter anfassen. Bisher habe ich mich im täglichen Tuen darum bemüht, den Kerlen in allen Dingen Kamerad zu sein. Ob ich so mit ihnen fertig werde, liegt an ihnen. Nach den geistigen Voraussetzungen kann ich damit rechnen: ein prot. Pfarrer, 3 Lehrer, Studenten und Kaufleute bilden die Belegschaft meiner Stube. ich bin gespannt. Ein Kamerad, der bei der Flak Ausbilder ist, schrieb mir dieser Tage: „Zu einer Kameradschaft zwischen Führer und Mannschaft gehören ganze Kerle... Es ist manchmal schwer, vor der Front zu stehen. Man möchte anders; man möchte Soldaten vor sich haben, die gern und froh ihren Dienst machen – statt dessen Sturheit, die gebrochen werden muß, an der man selbst zu brechen droht.“ Von den 11 Leuten sind vier in meinem Alter. ´Sie rutschen so ganz leise durch die Rekrutenzeit hindurch. Das kann ich nicht verantworten. Schon heute habe ich ihnen für gelegentlich einmal einige Stunden à la Gütersloh versprochen.

Du fragst mich nach der Haltung der Bevölkerung. Wir haben in den letzten Tagen oft davon gesprochen, daß eine schwere Niederlage neuer Beginn eines Volkes sein kann. Doch der Krieg der wenigen Tage hat – so scheint mir immer wieder – das Volk von Holland noch nicht geweckt. Die Menschen scheinen mir so übermäßig zufrieden – man findet den Typ des Spießers – dieses Wort ohne jugendlichen Überschwang gebraucht – allenthalben.

Sonst habe ich hier alles – bis auf das Letzte: Das Heilige Opfer. Oft bin ich am Abend in der nahen Kirche in stiller Besinnung vor dem Herrn, der Dienst läßt aber zum heiligen Werk am Sonntagmorgen keine Zeit. Ich hoffe, daß ich am nächsten Sonntag einmal nach Amsterdam zum Wehrmachtsgottesdienst komme.

Das Städtchen hat eine feine Bibliothek mit deutscher Abteilung. Zur Zeit beschäftigt mich Nietzsches Werk sehr. Wie doch das Werk eines Einzelnen das Bild einer ganzen Zeit von Gott und dem Menschen prägen kann.

Manchen Abend bin ich im nahen, sehr feinen Schwimmbad zu finden. So geht der Dienst dahin, Tag für Tag. Wie stehst Du im Augenblick dazu. Ist seit Ostern etwas geschaffen worden? Haben Josef und Karlegon wieder angezogen.

Ich freue mich, bald wieder davon zu hören.

Für heute Frohgruß im Herrn

     Jochen Soddemann