Kaplan Stiesch an Ludwig Kreuser, 18. Oktober 1941
Rudolf Stiesch Köln Bickendorf Schlehdornweg 1
18. Oktober 41
Lieber Herr Kreuser!
Eben habe ich grade einen Brief an meinen Vetter in das russische Eis hineingeschickt, jetzt Ihnen einen in die afrikanische Glut. Man hört allerdings, dasz es da nachts auch gehörig kalt werden kann. Es wird sehr schwer sein, sich an ein solch fremdes Klima zu gewöhnen. Nun ist Michael schon vorbei, Pater Breuning ist wieder in Holland und wir denken schon an die Vorbereitung des Christkönigsfestes. – Gut dasz wenigstens der Joseph hier ist. Kürzlich waren wir zusammen in einem Konzert, in dem das 3 Brandenburgische Konzert von J S Bach, das 5 Klavierkonzert von Beethoven und Bruckners 9 Symphonie gegeben wurden. Bruckner ist mir noch eine fremde Welt. Manche die fühlen sich darin wohl, wie der Fisch im Wasser. Ich bekomme aber den Sinn all dieses Aufwandes nicht heraus. Am Schlusz könnte ich nicht ein Thema vor mich hinflöten. Ich behalte nichts davon, dagegen bei den älteren Meistern erkennt man ganz klar den Aufbau und den Sinn.
Hier hatten wir 4 Wochen keinen Alarm mehr und man hatte sich an diesen schönen Zustand schon ziemlich gewöhnt. Jetzt fängt es leider wieder mit den nächtlichen Besuchen an. Nun ja, man musz eben alles über sich ergehen lassen. Kennen Sie das Siemenshaus am Friesenplatz neben der Kunstausstellung. Es ist zerstört worden, jedenfalls die oberen Stockwerke. Die Linie 10 musz mal wieder umgeleitet werden, wie schon damals.
Von den Jungmännern waren einige in Urlaub so zB Heinz Otto Mundorf und Werner Niederwipper. Jetzt augenblicklich ist Jochen Soddemann hier. Mit ihm war ich kürzlich zusammen in dem Film Ich klage an. Dieser Film propagiert die Euthanasie d h die
Tötung von unheilbar Kranken. Man kann abgesehen von den Gegengründen unseres Glaubens doch auch natürliche Einwendungen erheben, zB das Vertrauen zwischen Arzt und Kranken würde zerstört werden, wenn so eine Tötung gesetzliche Billigung fände. Der Kranke wüszte ja nie, ob der Dr der ihn behandelt, nun als sein Heilender Arzt vor ihm stehet oder als sein Jäger, der das unheilbar kranke Wild beseitigt.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und bin in steter Verehrung
Ihr