R.S. (Rudolf Stiesch?): „Ein Brief“, Februar 1942

Freiburg im Breisgau, im Februar 1942.

Ein Brief.

Ihr Brief scheint eine schwere Entscheidung anzukündigen. Sie haben vor einem Jahr die Weihen empfangen, aber Sie wollen, wenn Sie aus dem Krieg zurückkehren, dem priesterlichen Beruf entsagen und im weltlichen Leben eine neue Aufgabe ergreifen. Die Bücher, die Sie erwähnen, weisen in eine Richtung, die weit fortführt von unserer Kirche. Ihre Gründe, - die Kritik, die Ihnen auf dem Herzen brennen mag, Erfahrungen, die Sie wohl gemacht haben, kann ich nicht prüfen, geschweige denn widerlegen; Sie selbst scheinen ihnen keinen sehr großen Wert beizumessen, sonst hätten Sie mir diese Gründe vielleicht ausführlicher dargelegt; sie stehen am Rande Ihres Briefes, wohl auch am Rande der Entscheidung. Widerlegen könnte ich sie nicht, weil ich kein Theologe bin; an einen Theologen wollten Sie ja auch nicht schreiben, als Sie mir fern in Russland diesen Brief schrieben. Was in Ihrer Seele wirklich geschehen ist, weiß ich nicht. Ihr Glaube war, wie Sie sagen, schon erschüttert, als Sie die Weihen empfingen. Und gerade daran knüpfe ich meine Hoffnung. Sie haben die Weihen empfangen und tragen sie – wie sollten sie je wieder ausgelöscht werden – aber innerlich sind Sie den Weihnen bisher nicht gerecht geworden. Ihre Seele wurde in eine Daseinsform erhoben, in der sie noch nicht zu leben vermag. Wie könnte es anders sein, als dass Sie sich ihr wieder entziehen wollen? In diesem Augenblick werden Sie von Stimmen angerufen, - jenen Büchern und einer tiefen, mächtigen Tendenz der Zeit, welche Tendenz aber doch in allen Zeiten seit dem Erscheinen des Herrn mächtig war – und Sie geben diesen Kräften nach; es ist ja wahrscheinlich keine Berufsfrage die Sie beschäftigt, sondern es ist eine Glaubensfrage; nur davon kann ich sprechen. Denn das Sakrament wird Sie nicht entlassen. Und selbst wenn Sie dem priesterlichen Beruf entsagen, wenn Sie ernstlich meinen, nicht für ihn bestimmt zu sein, so haftet doch das Sakrament an Ihrer Seele mit der Kraft göttlicher Einsetzung. Die Gefahr ist furchtbar, dass Sie Ihr ganzes Leben hinbringen könnten mit dem Bemühen, die Weihen von Ihrer Seele zu reißen; dass von diesem – Ihnen und andern vielleicht verborgenen Streben her, Ihr ganzes Tun und Denken auf einen falschen Weg getrieben wird. Was Ihr Leben erhöhen soll, wird Ihnen als eine Fessel erscheinen, und Sie werden unablässig nach Werkzeugen suchen, sie zu zersprengen. Wie leicht kann sich die Liebe in Haß verwandeln, der Zug zur Wahrheit in das Bestreben, sie zu verdecken! Das alles werden Sie heute noch fühlen; ob sie es, wenn die Entscheidung im Sinne Ihres Briefes gefallen ist, nach einigen Jahren noch spüren werden, weiß ich nicht. Dann kann Ihr Dasein zum völligen Gegenbild dessen geworden sein, was Ihnen, als Sie den Weg des Priesters antraten, doch einmal vorgeschwebt hat.

Sie sind gebunden; in dem Sinne, in dem Sie es wohl meinen, können Sie nicht mehr „frei“ werden. Die Frage ist nur, ob Sie eine Krone tragen oder eine Fessel. Aber ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, dass die Not, in der Sie leben, eine Gnade sein könnte? Vielleicht schließt diese Not allein den tieferen Glauben auf, dessen Sie bedürfen. Ob Sie nicht noch einmal, die Weihen,

in Ihrem tiefesten Innern, empfangen können? Ob Ihre Seele nicht in Freiheit anzunehmen vermag, was ihr als Zwang erscheint? Ob nicht Gott Sie in diesen furchtbaren Zwiespalt versetzt hat – mitten in der Not des Krieges – weil Sie zum Priester bestimmt sind? Sie stehen an einer Stelle, wo Sie entweder höher steigen oder stürzen müssen. Aber Sie wollen los, Sie sprechen von einem „neuen Glauben“. Ich weiß, dass es nur einen Glauben gibt: der an den Herrn, dessen vom Priester gesprochene Worte Brot und Wein verwandeln in Seinen Leib, in Sein Blut. Es ist kein reinerer Glaube denkbar als der an das Skarament: durch das Sichtbare berührt uns das Unsichtbare, und wir nehmen es an. In diesem Glauben   s e h e n   wir die Wahrheit, s e h e n   wir Gott. Sie werden keine höhere Herzenskraft aufbringen können, als dieser Glaube sie fordert. Sie werden keine höhere Aufgabe im Leben finden können, als sein Zeuge zu sein. Und auch wenn Sie nicht mehr Priester sein können, so finden Sie doch kein höheres Gebet für Ihr Leben und Wirken als das Gebot dieses Glaubens. Vielleicht werden Sie viele äußere Gründe anführen können, die Sie über Ihren Willen hinweg bestimmt haben, Priester zu werden. Eines aber geht nicht auf Gründe zurück: der Herr hat Sie gerufen. Es mag sein, dass jene Gründe von so starker, Ihnen so widerstrebender Wirkung waren, dass Sie die Stimme des Herrn nicht hörten. Tun Sie alles ab, vergessen Sie alles, wenn es möglich ist. Dann hören Sie vielleicht die Stimme des Gekreuzigten, der Sie emporziehen will ans Kreuz. Denn es gelangt doch kein Mensch in den Bereich der Nachfolge ohne seinen Willen.

Sie stehen im Kriege; ich kann mir in diesem Augenblick nicht vorstellen, was Sie erfahren und erleiden, welche furchtbare Wirklichkeit Sie umgibt. Der ganze Abgrund der Welt klafft vor Ihnen auf. Sie sehen sie so, wie sie ist, Kann es einen größeren Mut geben, als mit dem Zeichen Christi in diese Welt zu gehen und in dieser Welt zu sagen „Friede sei mit euch“? Der Friede ist stark, das Kreuz stärker als Waffen, die Verheißung des Herrn fester gegründet als alle Mächte der Erde. Allein die an den Herrn glauben, kennen das Ende der Geschichte. Angesichts des Endes können wir den Tag bestehen. Andere Hilfe haben wir nicht. Die Gläubigen müssen zum Aergernis werden; ein Aergernis ist auch das Ende und der Gedanke an den Herrn der Zeit. Aber je größer der Glaube, um so größer der Mut. Es ist der Mut derer, die allein sind unter den Menschen und in denen der Herr lebt. Dieser Mut wird von Ihnen gefordert. Entscheiden wird endlich doch Ihr Wille. Größeres können Sie nicht tun, als jetzt und hier zu glauben. Vom Glauben her wird ein neues Licht auf die Gründe fallen; sie werden dann sehen, wie stark oder wie schwach sie sind. Was überzeugend scheint, enthüllt sich dann vielleicht als Versuchung. Denn nur in der Nähe des Herrn erkennen wir, in welchem Maße wir von Versuchungen umgeben sind. Und wenn Ihr Leben angelegt ist auf das Große und es sucht, so finden Sie es vor dem Herrn. Der letzte Sinn der Not ist doch immer der Sieg. Ich kann es mir nicht denken, dass dieser unsäglich schwere Sieg Ihnen vorenthalten ist. Aber dieser Sieg ist auch der Sinn der Zeit und aller Kämpfe, die sie auszutragen hat; auf ihn weist der Kampf der Geister und der Seelen, der über dem Streit der Völker entbrannt ist. Sie sind angerufen worden vom Herrn; Ihr Beruf ist es unabänderlich, den Frieden zu gewinnen und in die Zeit zu tragen.

R. S.