Willy Winterscheidt an Kaplan Stiesch, 31. März 1942
In Russland, den 31. März 42.
Lieber Herr Kaplan!
Heil und Gruss Ihnen und allen Kameraden und Messdienern von St. Dreikönigen. Herzlichen Dank für Ihren lieben Brief vom 13. Februar, den ich vor einigen Tagen erhielt.
Nachdem für einige Tage hier Tauwetter einsetzte begann plötzlich nachts ein heftiger Schneesturm, der 3 Tag lang andauerte und uns allerlei Schaden zufügte. Sämtliche Nachschubstrassen sind nun zugeweht und die L.K.W. kommen im meterhohen Schnee nicht weiter. Wann wird hier mal endlich Frühling. In Deutschland beginnt jetzt wohl schon langsam das grosse Schauspiel in der Natur, das zu erleben wir oft Sonntag für Sonntag hinausgezogen sind. Hier wird es wohl Mitte Mai darüber werden. An der Front ist es in den
letzten Wochen so merkwürdig still und ruhig, ob das die gross Stille vor dem Sturm ist. Ob ich diesen Sturm im Frühjahr wohl wieder mitmachen werde? Wir hofften ja alle auf Ablösung. Un-willkürlich muss ich an einen anderen Sturm denken und an die Worte des Heilandes: <<Warum seid ihr so furchtsam ihr Kleingläubigen>> Gelten diese Worte nicht auch uns. Schöpfen wir Kraft auf den Leiden des Heilandes, die uns gerade in der jetzigen Karwoche besonders in Erinnerung treten, und denken wir immer daran, es gibt keinen Karfreitag, ohne jenen strahlenden Ostermorgen. Der Tod ist nicht die letzte Stufe in diesem Leben. Das ist mir hier vorne ganz klar geworden. Er ist nur die erste Stufe zu etwas Grösserem. Wäre es anders, dann würde ich von dieser Stunde ab noch ein Feigling und Lump. Dann wäre ich ja bedeutend besser dran. Vor Erfrierungen bin ich ja Gott sei Dank verschont geblieben. Dafür häufen sich aber hier bei mir die Nachrichten über Erfrierungen bei
bekannten Kameraden. Ein guter Kamerad von mir aus Düsseldorf wurde mit Flecktyphus ins Lazarett eingeliefert.
Im übrigen bin ich jetzt Putzer bei unserem neuen Spiess, einem Stabswachtmeister von der Artillerie. Dadurch habe ich jetzt ein verhältnismässig gutes Leben. Im übrigen erhoffe ich bei ihm auch demnächst Verständnis zu finden für meinen Wunsch, wieder zur Artillerie zurück zu kommen. Ich habe nun einmal den Ehrgeiz, Offizier zu werden. Franz Ley schrieb mir gestern auch einen Brief. Er liegt in Tilsit. –
Auch ich freue mich wie Sie auf den Tag, wo wir alle mal wieder in alter Gemeinschaft bei-sammen sitzen können. Hoffentlich reisst der Krieg nicht noch weitere Lücken in unseren Kreis. Von den Jungmännern hört man ja leider weniger Erfreuliches. Und wiederum empfehle ich mich Ihrem Gebete und grüsse Sie u[nd] Ihre lieben Eltern sowie alle lieben Kameraden recht herzlich.
Heil und Grüsse
Ihr Willy