Josef Rick an Kaplan Stiesch, 25. Oktober 1942
Herford, den 25. Oktober 1942.
Lieber Herr Kaplan,
heute kommt Ihr Brief vom 18.9. zur Beantwortung, mit meinem Dank für das treue Geden-ken und Ihre Anteilnahme. Allerdings auch der letzte Brief aus Herford, scheint’s; denn meine Versetzung zu einem anderen Waffenteil steht bevor. Dies brachte nicht geringe Verän-derungen im hiesigen Arbeitsgebiet mit sich, die mich erheblich beanspruchten.
Heute früh war Wehrmachtsgottesdienst. An die tausend Soldaten in einer kleinen niedrigen Kirche zusammengedrängt, brachten zweifellos schon durch ihre große Zahl das Interesse der Rekruten und Ausbilder zum Ausdruck. Leider war der Prediger dieser seltenen und in ihrer Bedeutung kaum abzuschätzenden Gelegenheit wenig gewachsen. Der Soldat will klar und fest angesprochen werden. Er will ermahnt sein, aber auch Vertrauen erfahren. Die Schwierigkeiten, die ihm jetzt und an der Front entgegenstehen, verlangen eine für ihn fass-bare Deutung einfachster Art. Zum Unglück besitzt die einzige hiesige Pfarre keinen Herrn, der sich dieser Aufgabe mit der gebotenen Sicherheit und Überlegenheit widmen könnte. Übrig bleibt bei dem Einsichtigen ein starkes Bedauern und gewisse Unzufriedenheit.
Um nun auf den Inhalt Ihres Briefes zurückzu-
kommen, pflichte ich ihnen im Falle „Rembrandt“ aus ganzem Herzen bei. Auch ich war sehr enttäuscht, fand mich darin bei meinen Kameraden aber fast allein. Wie sollten sie es auch ahnen, da Blick, Bildung und Übersicht fehlen, diese Mängel in ihrer erschütternden Gewalt festzustellen. Auch Balser, den ich sonst schätze, war der Figur kaum gewachsen. Vielleicht hätte man das Thema noch enger fassen müssen. Dass es allerdings möglich ist, Künstlerfilme mit recht guter Leistung zu gestalten, bewies mir im vergangenen Jahr die Arbeit von Gründgens und seinem Regisseur in „Friedemann Bach“.
Dass die Jungen von ihnen die genannte Einführung erbaten, kann nur erfreuen. An Hand jedes Kunstwerks lässt sich gültig für das Gesamtverständnis der Kunst jenes Etwas erklären, das das Werk vom Machwerk unterscheidet. Viele Leute, die Zahlen und Epochen her-unterrasseln können, kennen jedoch sehr wenig vom wirklichen Sinn und der verborgenen Schönheit, die dem noch Uneingeweihten vorsichtig erschlossen werden können, wenn jener Liebe und guten Willen mitbringt, allerdings auch die Gabe dazu, und der Lehrer es versteht, mit zarter Hand das Erhabene zu öffnen, dass die Augen der Zuhörer glänzen und der Geist reichlich erntet. Zu dieser Arbeit, die Sie gewiß mit Erfolg durchführen, kann man Ihnen nur gratulieren.
In diesem Sinne verbleibe ich mit guten Wünschen und besten Grüßen Ihr
Josef Rick