Jochen Soddemann an Rudolf Stiesch, 26. Mai 1944

Am 26. Mai 1944

Grüß Gott, Rudolf!

Deine beiden Briefe liegen vor mir, hab herzlichen Dank dafür. Am vergangenen Dienst[ag] fand am Morgen unsere mündliche Prüfung statt. Am Abend des gleichen Tages gab der Komp.-chef das Ergebnis bekannt: „Alle bestanden“ und deutete gleichzeitig an, daß wir zum 1.6. mit der Beförderung zum Fähnrich rechnen können. Wenigstens ein kleiner Fortschritt!

Zu Deiner Antwort auf meinen Brief: Kapl. Angenendt hat mir damals seine Gedanken an einer Familie, die in kurzer Zeit zwei Jungen und all ihr Hab und Gut verloren hatte, aufgezeigt. Eine letzte Entscheidung kann keiner von uns geben. Deine Situation und die Situation, in der Du und viele Daheim stehen, ist unsere Situation schon seit Jahren. Oder meinst Du, es wäre viel produktiver, auf dem Exerzierplatz zu stehen oder Nachrichtenübungen zu machen? Bei mir sinds mittlerweile auch schon 3 ½ Jahre, dass ich nicht studieren

und arbeiten kann.

Gewiss ist die augenblickliche Lage keine Zeit des Neubeginnes, sondern Zerstörung, Zerstörung zuerst des Geistes, dann auch ungeheurer kultureller und materieller Werte.

Und dennoch: In unseren Herzen muß eine ungeheure Bereitschaft stehen, auf- und weiterzubauen. In diesen Tagen wird unser Beten wieder mächtig: „Veni sancte Spiritus!“ Komm, Heiliger Geist entzünde unser Volk aus seiner Kälte, aus seiner Gottlosigkeit zu neuer Liebe, zu neuer Glut für Gott, für Christus. Wenn wir nicht mehr daran glauben, daß die Zeit trotz allem auf dem Wege zum Herrn ist, ist dann nicht auch unser Beruf verfehlt?

Meine lb. Mutter hat mir in den letzten Tagen Manches von Kapl. Klein berichtet, von seiner Beerdigung und dem Unglück. Wir schulden unserem Peter ein Wort des Gedenkens, und ich will versuchen, im nächsten Rundbrief einiges dazu zu sagen. Herrn Pfarrer habe ich schon um einige Angaben dazu gebeten, ich erwarte mit Spannung seine Antwort.

Du fragst nach den Rundbriefen: Es sind mittlerweile schon 5 Stück. Deinen Vorschlag mit der Nummerierung halte ich nicht für günstig, es geht ja niemand etwas an, wieviele Briefe es mittlerweile sind. Fein ist Dein Vorschlag für den nächsten Brief; ich erwarte mit Spannung die Außüge, die Du mir schicken willst.

Mit den Adressen dachte ich mir so: Du gibst einem Jungen die sämtlichen Heimatanschriften. Der Kerl hat sich dann bei den Angehörigen jeweils nach der Fpn zu erkundigen, d.h. wenn an mich Post an die Fpn zurückgekommen ist. Hältst Du das nicht für möglich?

Ich bin froh, daß ich jetzt wieder manche Stunde Zeit habe, um zu arbeiten, am Studium und für die Kameraden. Leider habe ich im Augenblick nicht genügend Bücher hier, die blöde Päckchensperre hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Heinz Otto M. liegt jetzt irgendwo in Frankreich, unter Lg. P. A. Paris mit der alten Nummer.

Sonst blieb in den letzten Tagen die Post ein wenig aus. Nun nimm für Dich und Deine lieben Eltern meinen Wunsch um des Heiligen Geistes reiche Gnadenfülle und alles Heil

     Dein Jochen.