H. Beissel an Kaplan Stiesch, 20. Juni 1944

Aachen, den 20.6.44

Sehr geehrter Herr Kaplan.

Heute komme ich erst dazu Ihren Brief v. 14.6. zu beantworten. Als ich am Samstag vom Nachschießen kam, lag Ihr Brief auf meinem Bett. Obwohl ich naß bis auf die Haut war, mußte ich erst den Brief gelesen haben. Infolge meiner schlechten Augen u. der großen Nervösität bin ich ein schlechter Schütze u. muß so Samstags nachschießen. Letzten Samstag goß es nun vom Himmel. Petrus schien kein Erbarmen mit uns zu haben, und trotzdem zogen wir los. Als Zivilist hätte man sich bei solch einem Wetter nicht vor die Tür gewagt, aber als Soldat gewöhnt man sich

an vieles. Sonntag-Morgen hatte ich, diesmal durch eigene Schuld, Strafdienst. Nach einem vorzüglichen Mittagessen legte ich mich rasch in’s Bett. Wie ich so ½ Stde. lag, flüsterte jemand: „Beissel, der schläft.“ Zu meiner großen Überraschung war Mutter u. meine Schwester erschienen. Keine Ahnung hatte ich von dem Besuch. Daß meine Schwester mitgekommen war, kam daher, sie hatte sich 5 Freitage zusammengenommen u. wollte mich daher unbedingt besuchen, da sie, ehe sie nach Büdingen, ihrem Arbeitsort fuhr, mich nur Ostern als Soldat gesehen hatte. Ja das war ein schöner Tag geworden u. den Sonntag vergesse ich so leicht nicht.

Was die Ausbildung betrifft geht sie lustig weiter u. vieles ungewohnte erwartet uns.

Man nimmt zwar alles nicht mehr so tragisch u. der Dienst scheint einem leichter. Mit dem Lesen ist es hier schlecht bestellt, außer Sonntag ist es mir kaum möglich in einem Buch zu lesen. Abends ist es immer so unbestimmt, teils kommt auch noch unerwartetes hinzu u. wenn ich mir z. B. vornahm um 8 Uhr im Bett zu liegen, gelingt es mir soeben kurz vor Zapfenstreich um 10 Uhr in dasselbe zu steigen. Auch die viele Post welche mich erreicht macht mir Sorgen, damit ich auch sie prompt beantworten kann. Meist kann ich nur militärisch kurz antworten. Leider, denn so geht vieles was den anderen interessierte zum….. Mit der Ausbildung hatte ich Glück. Da wir eine Sondereinheit sind bleiben wir, normalerweise, bis Mitte August, bis zum Ende unserer Ausbildung in Aachen. Erst nach-

träglich kommt dann der erste Urlaub. Vorher gibt es keinen, höchstens bei Fliegerschaden. Aber danke vor so etwas. Ja Sie haben schon Recht mein Traum ist auch nur Urlaub u. die Heimat, aber ist beides vorläufig nicht erreichbar.

Morgen sollte der 30 km Marsch steigen. Glücklicherweise braucht unsere Stube (10 Mann) diesen nicht mitzumachen. Ja Glück muß man haben, nun dies hat man aber doch nur selten.

Die Invasion- u. unsere Vergeltung sind im Gange. Nun werden wir sehen wer am längsten aushält. Für uns bedarf es bestimmt nicht der Blutopfer, die die Angreifer zahlen. Hoffentlich siegt am Schluß die Gerechtigkeit u. wir uns alle gemeinsam eines frohes Wiedersehens erfreuen können.

Es grüßt Sie recht herzl.H. Beissel