Gisbert Kranz an seine Familie, 27. November 1941
Donnerstag, den 27.XI.41.
Meine Lieben!
Dienstag verließen wir Poltawa. Seitdem befinden wir uns wieder auf dem Vormarsch, bei bitterster Kälte und Schnee, neuem Einsatz entgegen. Der Abend im warmen Soldatenheim einer kleinen Stadt entschädigte uns für die Strapazen des ersten Tages. An diesem Abend erhielt ich auch Mutters Kuchenpaket, für das ich herzlich danke. Der Kuchen hatte sich gut gehalten und schmeckte ausgezeichnet. Heute haben wir einen Tag Ruhe. Ich erquicke mich an der Schönheit der Worte Hölderlins, die mir gerade jetzt recht kommen. Für dieses Buch bin ich Euch besonders dankbar. Leider kann ich es nicht in Poltawa in aller Ruhe genießen, wie ich gedacht hatte. Doch erschließt es in dieser öden Gegend umso stärker seine Schönheit einem, der sich nach Schönem und Großem sehnt. –
So werde ich Weihnachten also an der Front erleben. Vielleicht ist das gut so. Die wochenlange Ruhe in Alexandria und Poltawa hat mich allmählich fast vergessen lassen, daß der Krieg weitergeht, und mich nicht mehr daran glauben lassen, daß wir hier in Rußland noch vor neuen Aufgaben stehen. Ich bin im Herzen froh darüber, daß ich in Rußland doch
nochmal an die Front komme, wenn auch unter den härtesten Umständen. Ich weiß, daß Ihr meine Lieben, mit doppelter Kraft für mich beten werdet, wenn Ihr diese Nachricht bekommt, doch bitte ich Euch, Euch nicht um mich zu ängstigen. Wenn Gott mich noch zu großen Aufgaben ausersehen hat, so wird er mich auch aus all diesem heil herausführen u. mich den Krieg überstehen lassen.
Es grüßt Euch herzlich
Euer Gisbert.
Fam. Gisbert Kranz
Essen-Steele
Humannstr. 18.
Soldat Gisbert Kranz 20413 B