Gisbert Kranz an seine Familie, 25. April 1942
Danzig, den 25.IV.42.
Meine Lieben!
Wenn Ihr wissen wollt, wie ich jetzt hier hause, dann müßt Ihr Euch eine aus unfreundlichen, häßlichen Backsteinhäusern bestehende Kaserne denken, ohne Blumenschmuck und gärtnerische Anlagen; statt Zentralheizung Kachelöfen, die jetzt nicht mehr gefeuert werden, obwohl es hier für die Jahreszeit noch unwahrscheinlich kalt ist; keine Waschräume: das Wasser wird in Waschschüsseln von einem Hydranten vor dem haus geholt; und der Lokus ist auch außerhalb des Hauses. Ich habe schon viele Kasernen gesehn, aber keine war so unschön und ungemütlich. Vor dem Weltkrieg lagen hier Leibhusaren drin. –
Das Essen ist hier freilich besser als in N. und damit Mutter das auch glaubt, schreibe ich Ihr hier unser heutiges Mittagessen auf: Kartoffeln m. Tomatensoße, Gemüse, Back-
fisch. Gut, nicht wahr? – Übrigens habe ich hier schon viele meiner alten Kameraden aus der Ausbildungszeit in Hamm u. Elberfeld und aus meiner Feldeinheit wiedergetroffen, auch den Zauberkünstler aus Köln, der in meiner Gruppe war. Gestern habe ich den ersten deutschen Farbfilm gesehn: Frauen sind doch bessere Diplomaten, und ich war überrascht von der farbigen Wirkung. – Von Neuruppin muß ich noch berichten, daß uns am Führergeburtstag (das war der letzte Tag, an dem ich dort war) eine Gruppe Jungmädel mit Volksliedern und Liebesgabenpaketen eine besondere Freude bereitete. Wir bekamen Champagner, Bulgarische Zigaretten, Keks, Bonbons, Studentenfutter (Mandeln und Rosinen im Cellophanbeutel) usw., außerdem jeder ein Buch. Ich erhielt den Band „Ewiges Deutschland“ (Ganzleinen! Ca. 8 M wert), ein prächtiges Buch mit Prosa und lyrischen Beiträgen deutscher Dichter und mit guten Holzschnitten.
Nun wollt Ihr aber wissen, wie es mit meinen Füßen steht. Der Arzt, bei dem ich heute morgen war, hat mich wieder ins Bett gesteckt. Aber lange kann die Geschichte nicht mehr dauern. –
Auf der Fahrt Berlin – Danzig lernte ich einen Musiker aus Wuppertal kennen, mit dem ich mich schnell anfreundete. Er sprach rasch und lebhaft, war aber kein Schwätzer, sondern vielseitig gebildet und sehr weit in Europa herumgekommen, hat viele Beziehungen und ist augenblicklich am Staatstheater in Danzig angestellt. Ab 18 Uhr war ich mit i[h]m in einem Abteil allein, und wir unterhielten uns sehr angeregt, sodaß die Stunden wie im Flug vergangen waren, als wir nach 24 Uhr in Danzig anlangten. Er lud mich übrigens zum Essen in den Speisewagen ein, was mir sehr willkommen war, obwohl Schw. Martha mir gutbelegte Stullen mitgegeben hatte. Herr Brettschneider – so ist nämlich sein
Name – gefiel mir vor allem durch seine freie Meinung (auch auf politischem und weltanschaulichem Gebiet) und durch die Offenheit, mit der er diese vortrug. Er wußte erst nach vielen Stunden, wer ich war, nachdem ich schon seine ganzen Verhältnisse kennengelernt hatte. Er hat übrigens auch zwei nette Kinder. Leider konnte ich seine Einladung, ihn zu besuchen (er wollte mir dann Danzig zeigen) nicht annehmen, doch versprach er mir, mich hier zu besuchen, als ich ihm sagte, daß ich wohl fürs erste noch liegen müsse. Er scheint ebenso froh zu sein, mich – den viel Jüngeren – kennengelernt zu haben, wie ich glücklich bin, seine Bekanntschaft gemacht zu haben. –
Nun muß ich schließen. Schreibt bald! Und seid herzlich bedankt für Euren letzten Brief vom 19.; vor allem für die Zeilen Karlheinzs danke ich.
Immer Euer Gisbert