Gisbert Kranz an seine Eltern, 7. Februar 1944

7.II.44.

Meine lieben Eltern!

Für Euren lieben Brief vom 2.II. herzlichen Dank! Mutters Besorgnisse über meine Stellung in der Kompanie ist unbegründet. Mein Chef verhält sich, seitdem die Akten über meinen Fall geschlossen sind, sehr korrekt zu mir. Mit meinem Zugführer, einem mir nicht unsympathischen Feldwebel, stehe ich auf gutem Fuße, und auch zu den übrigen Unteroffizieren meines Stützpunktes stehe ich in gutem kameradschaftlichem Verhältnis. Die Leute, die mir nicht grün sind, befinden sich in den Nachbarzügen. Übrigens ist der Feldwebel, der zur Zeit meines Mißgeschicks mein Vorgesetzter war, nicht mehr hier. Bei meinen Untergebenen endlich glaube ich geachtet und nicht unbeliebt zu sein. –

Wer Friedrich Hugo Gripehoven ist? Kein anderer als ich selbst, der sich hinter diesen Namen verbirgt. Unter diesem Pseudonym gedenke ich später meine lyrischen Arbeiten zu veröffentlichen. „Gripehoven“ wählte ich in Erinnerung an meine Ahnen, das stolze Geschlecht der Raubritter. Auch soll dieser Name meine Verbundenheit mit dem Niederrhein ausdrücken. „Friedrich Hugo“ steht auch in meiner Taufurkunde. „Hugo“ wählte ich vor allem zum Gedächtnis meines Großvaters, den ich in Verdacht habe, nicht ganz unschuldig an meiner musischen Veranlagung zu sein, „Friedrich“ aber in Verehrung meiner Lehrmeister der Sprache: Schiller, Hölderlin und Nietzsche, denen ich mich im Geiste verwandt glaube. Ich hoffe, daß dieser Name F.H.G. seiner Ahnen im Geiste und im Blute sich würdig erweisen wird, daß er zwar nicht Berühmtheit

erlangt – denn mit der gemeinen Masse habe ich nichts -, aber doch in einem kleinen Kreise edler Menschen einen gewichtigen Klang gewinnt.

Da ich fürchte, daß die Wahl meines Decknamens und seine Begründung Vater eifersüchtig werden läßt ob der einseitigen Bevorzugung der mütterlichen Vorfahren, sei ihm zum Trost gesagt, daß es an kunstverständigen und geistvollen Köpfen in der Sippe Kranz nicht fehlt und daß ich mir dieser Tatsache sehr bewußt bin; doch scheint die Vererbung geistiger Gabe in der Familie Kranz sprunghaft und mehr rezessiver Natur zu sein. Immerhin weist sie nicht unbedeutende Männer auf: Sanitätsrat Dr. Gisbert Kranz, dessen wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiete der Geschichtsforschung noch bedeutender sind als im medizinischen Bereich. Einige seiner Bücher habe ich in meiner Bibliothek, [.......]liche und gegenwärtig hochaktuelle Abhandlung über die „Hexenprozesse im Kreise Menden“ mit wertvollem archivalischem Material enthält. Ferner nenne ich meinen Ururgroßvater J. P. Connen, der – wie die Chronik meldet – als Lehrer in Kaiserswerth wirkte, eine große und erlesene Bibliothek besaß und sogar „lateinisch gebeichtet haben soll“. Dann den Maler Kehren, dessen Name unlängst in Verbindung mit dem Aachener Rathaus durch die Presse ging. Auch Onkel Hans war eher zum Maler als zum Pharmazeut geeignet: Weniger sein Stilleben, das unser Eßzimmer schmückt, hat mir imponiert als ein Blatt in Temperafarben, das Räucherheringe darstellt und sich im Archiv befindet. In der Technik beweist er hier hohes Können und große malerische Begabung, in der Wahl des Gegenstandes aber sein feingebildetes, künstlerisches Empfinden. Denn – wie Langbehn sagt -: Ein Papagei, eine Orange, ein

Goldfisch können sich an wahrem Farbenreichtum nicht messen mit einem Huhn, einem Apfel, einem Räucherhering. Hier ist echte Vornehmheit in der zarten Abtönung und Stufung der Farben ausgedrückt. Daß Onkel Hans diese Schönheit eines so schlichten Gegenstandes sah und meisterhaft wiedergab, zeugt von feiner Bildung. –

 

8.II.

Morgen habe ich Geburtstag. Den dienstfreien Nachmittag gedenke ich in K. zu verbringen. Dort soll es im Soldatenheim guten Kuchen geben. Am Abend will ich mit den Unteroffizieren meines Stützpunktes zusammensein.

Karlheinz schrieb mir einen launigen Brief und schickte Zigaretten und ein Reklambändchen von Binding, mit welchem Geschenk er einen feinen literarischen Geschmack bekundete. Den Festkuchen von Mutter habe ich nun schon längst gegessen, und mir bleibt davon nur noch die süße Erinnerung.

Übrigens habe ich kurz vor meiner Haft einen Kuchen mit Zuckerguß bekommen und kurz nachher einen Königskuchen. Welcher von beiden nun der Namenstagskuchen sein sollte, weiß ich nicht mehr. Aber war einer von ihnen vielleicht der Kuchen, von dem Mutter meint, ich hätte ihn noch nicht bekommen?

Herzlich grüßt Euch

Euer Gisbert