Gisbert Kranz an seine Eltern, 12. Juni 1946

12.VI.46. Liebe Eltern! Nachdem ich fast 3 Wochen keine Post mehr erhalten hatte, kam heute Brief vom 19.V. u. Karte aus Neviges. Herzl. Dank! Ich hoffe, Ihr habt inzwischen mehr Post von mir erhalten. Ich bekomme jeden Monat nur 2 Briefe u. 2 Karten zum Schreiben. Alle Formulare schickte ich bisher an Euch, außer einem Brief an Maaßen u. einer Karte an Hecker, dem ich für einen längeren Brief zu danken hatte, u. einer Karte an Breuer. Alle erhaltene Post teilte ich Euch unter Angabe des Datums mit. Ich habe noch keinen Brief bekommen, dessen Empfang ich Euch nicht bestätigte u. für den ich Euch nicht dankte. Ich nähme wenig Anteil an Euren Sorgen? Ach, könnte ich Euch schreiben, soviel ich wollte! Ich hielt es für besser, die vorgeschriebenen 24 Zeilen mit meinen frohen Erlebnissen zu füllen, um Euch aufzuheitern, anstatt immer nur Eure Sorgen, die auch die meinen sind, zu wiederholen, u. Euch das Herz noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon ist. Seid versichert, daß ich mitleide mit Euch. Bedenkt, daß es bis zu Monaten dauern kann, ehe Ihr eine Antwort von mir auf einen Brief von Euch in Händen habt. Seid bitte deshalb nicht ungeduldig mit mir, wenn die Post langsamer läuft als meine Gedanken zu Euch. – Alle Gesuche um Entlassung sind hier bisher abgelehnt worden. Sollte Eures doch Erfolg haben, was ich mit Euch hoffe, dann stehe ich Vater zur Seite, wenn nötig Jahre lang. Doch für immer kann ich kein Kaufmann werden. Das würde nicht nur meinen, so auch der Firma Ruin bedeuten, wenn ich sie übernehme. – Pfingsten waren 400 Katholiken aus unserm Lager in St. Wilfried, Ripon, zum Hochamt. Am Abend las ich einem erlesenen Kreise einige meiner Elegien, Oden u. Sonette u. eine Novelle vor. – Von Maaßen habe ich eine Karte. – Innige Grüße u. Wünsche Euer Gisb.