Karl-Heinz Kranz an seine Familie, 30. März 1943
Rußland, den 30.III.43.
Meine Lieben!
Inzwischen werdet Ihr wohl die erste Post von mir aus Rußland bekommen haben. Obwohl für uns eine Menge Post am Feldpostamt liegt, können wir diese nicht bekommen, da ein augenblicklich unpassierbarer Fluß dazwischen liegt. In der kommenden Nacht marschieren wir für einige Tage in Ruhequartiere. Dann werden wir auch die Post bekommen.
Hier hat jetzt ein starkes Tauwetter eingesetzt. Des Nachts friert es nur noch leicht. Über Tag scheint die Sonne schon sehr warm und schmilzt den letzten Rest Schnee und Eis weg. Man kann sich ohne Mantel, Handschuhe usw. in die Sonne setzen, stundenlang ohne zu frieren. Es ist jetzt ein herrliches Frühlingswetter. Unsere Gesichter sind schon gebräunt von der kräftigen Sonne. Der Frühling weckt wieder neue
Kräfte. Wenn man nicht gerade im Einsatz seine Kräfte verschwenden müßte, könnten wir Bäume ausreißen. Aber die Kerle sind jetzt froh, wenn sie nach anstrengender Wache pennen können. – Der Sommer kommt hier in Rußland plötzlich. Ganz kurz ist die Umstellung von Winter auf Sommer. Dann können wir wieder in Zelten schlafen, brauchen keine Angst vor Läusen zu haben (ich habe bisher erst eine einzige geknackt). Der Sommer bringt uns viel gutes, aber auch wieder Unangenehmes; die Hitze, den Durst. Aber lieber schwitzen als Frieren. – Der Frühling bringt uns auch hier in Rußland das seltsame Sehnen. Wonach? Ich weiß es nicht – oder doch? Sehnen nach Leben!
Für heute Euch allen herzliche Grüße,
Euer Karl Heinz