Karl-Heinz Kranz an Bruder Gisbert, 2. März 1940

2.III.1940.

Lieber Gisbert!

Ich danke Dir für Deine Zeilen. Wir mußten doch über einen Dichter sprechen, und da hatte ich Deinen Vorschlag angenommen. Anbei sende ich Dir den kleinen Vortrag. Beurteile ihn ’mal, und schreibe mir das Resultat. – Heute morgen um 8 Uhr begann die mündliche Prüfung. Es wurde so gehandhabt, daß unser Klassenlehrer einige Leute aufrief und die in einem Fach prüfte. Dazu wurden die „Opfer“ in den Prüfungsraum geführt, wo einige Lehrpersonen saßen und daß Protokoll aufnahmen. Es wurden nur die geprüft, die eine Möglichkeit hatten, sich zu verschlechtern oder zu verbessern. In folgenden Fächern wurde geprüft: Handelskunde, Englisch, Geschichte, Buchführung, Rechnen. In den letzten drei Fächern wurde ich auch durchgequetscht. Geschichte: Ich mußte an der Tafel eine Aufstellung über das Reichsbürgergesetz machen und einige Fragen über die Völkerwanderung und den Limes beantworten. Buchführung: Buchungen mündlich. Rechnen: 2 Aufgaben schriftlich, nachher erklären. In Deutsch wurde nicht geprüft,

sodaß ich den Vortrag umsonst auswendig gelernt hatte. Im Großen und Ganzen hat alles geklappt. Ab ½ 1 Uhr knobelten die Pauker an den Zensuren herum und ließen uns bis drei Uhr warten. Dann hielt der stellvertretende Chef eine kurze Ansprache. Unser Dr. Mü (Müller, Klassenl.) verkündete dann eine Überraschung: 1 Mann bestand mit Auszeichnungen („sehr gut“), 6 Mann mit „Gut“, darunter ich selbst, eine Reihe „Befriedigend“, und keiner war durchgefallen. Ich wäre beinahe umgekippt vor Freude, denn mit einem „Gut“ hatte ich gar nicht gerechnet. Nächsten Donnerstag haben wir unseren Klassenabend. – Morgen fahre ich mit Mutter nach Lüdinghausen, um schon einen Teil von Günters Wäsche mitzunehmen und auch Fritzchens Namenstag zu feiern. – Am 1. April tret ich bei Friedrich Scheepers an. Bis dahin will ich mir noch Ruhe gönnen und unter anderem auch viel lesen. – Hoffentlich kannst Du mir bald den „Speerflug“ besorgen. Bis auf weiteres sei herzlich von mir gegrüßt,

Karl Heinz