Kurt Diederich an seine Mutter, 22. Oktober 1943
Rockitnitz, den 22.10.1943
Liebe Mutter!
Mein Brief an Dich soll heute einmal in einem ganz neuen Gewande bei Dir eintreffen. Unser Lmf. hat diesen Brief aufgesetzt und wird ihn uns diktieren.
Vorweg kann sich dir versichern, daß es mir ganz vorzüglich geht und mir auch weiter hin gut gefällt. Schade, daß Du liebe Mutter unsere Lagermannschaft hier nicht durch den Fernseher herumtollen sehen kannst. Jetzt, wo das schöne Herbstwetter noch ist, tummeln wir uns jeden Nachmittag im Freien herum. Entweder treibt unser Lmf mit uns auf dem Sportplatz Spiel & Sport oder er marschiert mit uns durch das Gelände. Dort wird dann Geländekunde betrieben. Das Tarnen und Anschleichen macht uns sehr viel Spaß, und auch mit dem Kompaß können wir schon umgehen. Gestern haben wir eine Schnitzeljagd gemacht. Da unser Lagerleiter Geburtstag gehabt hatte, und wir ihn am Morgen überrascht hatten, gab er uns den gesamten Nachmittag frei. Sofort nach dem Essen ging das Spiel los. Eine Partei wurde von einer zweiten verfolgt. Die erstere mußte immer Sägespäne ausstreuen, damit die andere den Weg verfolgen konnte. Es ist aber gepfuscht worden. Nachher haben sie in einem Umkreis von 500 m nicht mehr gestreut und darum verloren sie. Hier in Rockitnitz fühle ich mich weiterhin recht wohl, haben wir doch alles, was man
sich für ein Jungenlager nur wünschen kann: einen großen Garten, einen Spiel& Sportplatz, freies Gelände und niemand in der Umgebung, der uns stören könnte oder dem wir zur Last fallen würden, denn unser Lager liegt ja nicht weit von Wald, Feld, Wasser & Wiese entfernt.
Über unseren Tagesablauf habe ich Dir ja schon öfters berichtet und zum Teil Abschriften der Tagespläne gemacht. Aber ich muß Dir doch einmal sagen, daß wir besonders in der Schule große Fortschritte machen. Unser Unterricht fällt sehr selten aus, höchstens, wenn wir alle beim Bauern zum Erntedienst eingesetzt werden. Das Wunderbare hier im Lager ist ja, daß sich unsere Lehrer so große Mühe mit uns geben. In aller Ruhe gehen sie vor, und nicht wie einst in Köln, daß es holter die polter weiter geht. Ich lerne bedeutend besser als in der Heimat. Die vollständige Nachtruhe tut ja bestimmt den größten Teil dazu.
Nun schreiben einige Eltern immer an den Lagerleiter und fangen an, wann wir nach Hause zurückkehren. Ich teile Dir im Auftrage des Lagerleiters folgendes mit: Wir bleiben den Winter über alle geschlossen hier willst Du mich aber zurück haben, so mußt Du auf dem Gebiet in Köln einen schriftlichen Antrag stellen. Dieser wird Dir aber nur bewilligt, wenn in der Familie ein Todesfall oder eine Krankheit vorliegt. Es wäre aber sehr schön wenn ich hier bleiben würde. Ich kann den herrlichen Winter im Adlergeb. miterleben, kann Skifahren, habe Tag und Nacht nichts mit dem Flieger-
alarm zu tun. Kann mich in der Nacht ausschlafen, in der Schule mit Ruhe und Geduld lernen und mich in der Freizeit mit meinen Lagerkameraden herumtummeln. Sehe auch Du bitte ein, daß es Unsinn ist, wenn ich in das zerstörte Köln zurückkehren wurde, wo ich es doch auch hier gut habe.
Das Essen schmeckt mir immer vorzüglich. In der gesamten Lagerzeit hat jeder Junge im Durchschnitt 2 kg zugenommen. Ich wiege jetzt 35,10 kg.
Für heute recht herzliche
Grüße & Küsse
Dein
Empfangen Sie einen recht freundlichen Gruß von Lmf
Herbert Gothe
[Pflichtbrief. Ein Teil der Fehler wurde vom Lmf korrigiert. Das Gewicht wurde nachträglich von diesem eingetragen.]