Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt, 6. Mai 1941

Köln, den 6. Mai 1941

Viel geliebtes Bruderherz!

Nun will ich Dir aber endlich auch Deine beiden Briefe beantworten. Du weißt ja, dass ich dauernd unterwegs bin. Da hat man gar keine Zeit mehr für sich, geschweige denn Zeit zum Briefe schreiben. Aber von unterwegs habe ich Dir eine Karte geschrieben. Die hast Du doch wohl bekommen. Sonst trudelt sie sicher noch in den nächsten Tagen ein. - - Heute erhielt ich Deinen anderen Brief. Wir haben Dir in der Zwischenzeit nun auch die gewünschten Bilder abgeholt und Dir zugesandt. Dazu hat Dir Irmgard einen langen Brief geschrieben. Nun, den wirst Du wohl jetzt auch schon in den Händen haben.

Mit den Fotos aus Malmedy ist das so eine Sache. Irmgard hat wohl kaum noch die Gelegenheit, nach Malmedy zu fahren. Sie hat immer noch gedacht, dass sie dort eine Arbeitstagung abhalten könnte. So war jetzt eine auf den gestrigen Sonntag gelegt worden. Aber die hat am Samstag Morgen auch abgesagt. Also es war ein grauenhaftes Durcheinander. Nun wird aber wohl daraus wirklich nichts mehr werden, denn Irmgard ist aus ihrer Stellung als Gaujugendgruppenführerin rausgeschmissen worden, d.h. natürlich sorgfältig mit ein paar schönen Worten wo anders hingedeut worden. Na, Gott sei Dank, ich bin froh, dass sie aus diesem Saustall wenigstens heraus ist. Jetzt arbeitet sie in der Gedok als Geschäftsführerin und fühlt sich vorläufig da ja ganz wohl. Ich glaube aber nicht, dass das von langer Dauer sein wird, denn der Betrieb ist sehr komisch. Es tut Irmgard nur mehr wieder gut, in den Kreisen verkehren zu müssen, in denen sie groß geworden ist und aus denen die durch die letzten Jahre mehr oder weniger ausgeschieden ist. Man kann sagen, was man will, es bleibt doch immer ein Unterschied ob man mit Frauen zusammenarbeitet, die eine gute Kinderstube haben und die erzogen worden sind, wie es richtig war, d.h. als vollgültiges Mitglied der Gesellschaft, oder ob man unter Plebs arbeiten muss. Und hier auf diesem Stall ist es Plebs, schlimmster Sorte. Deshalb ja auch der Hass gegen uns, d.h. gegen Irmgard und jetzt auch bereits gegen mich. Ich habe folgende nette Episode vor einigen Tagen erlebt: Ich bekam vom PG einen Brief, in dem stand, dass ich ab 1. Mai 1941 in der Abtlg. Buchhaltung-Finanzwesen beschäftigt würde. Der Erfolg war, dass ich sofort schriftlich kündigte. Am nächsten Morgen trag ich den PG in der Straßenbahn und habe ihn mir dann erst mal richtig zwischen genommen. Ich habe ihm gesagt, dass ich das mehr als merkwürdig empfände, wenn man jemand mitten aus der Arbeit herauszöge ohne überhaupt zu fragen, sind sie mit ihrer Arbeit so weit fertig, dass jemand anderes sie übernehmen kann, oder haben

sie noch sehr viel zu tun. Haben sie überhaupt eine Ahnung von dem Arbeitsgebiet, was sie jetzt bearbeiten sollen oder nicht. Wahrheitsgemäß habe ich das mit Nein beantworten müssen. Aber daran, diese Fragen auszusprechen, dachte niemand. Dann habe ich dem Pg. gesagt, er solle mich doch früher gehen lassen. Ich habe nun mit ihm vereinbart, dass ich meine Arbeit fertig machen wollte und dann gehe ich zu ihm und haue dann ab. ------- Was sagst Du dazu? Nett, nicht wahr?----- Ich bin jetzt sehr froh, dass das so gekommen ist. Ich hatte sowieso die Absicht zu kündigen und nun ist das alles viel schneller und besser gegangen, als ich gedacht hatte. Ich werde jetzt 1 bis 2 Monate nur Kindertransporte fahren. Ich verdiene an jedem Transport immerhin meine RM 20,-- und habe dazu aber noch 2-3 Tage freie Verpflegung. Wenn ich nun in der Woche 2-3 Transporte mache, dann habe ich 40,-- bis 60,-- RM in einer Woche verdient. Und dazu brauche ich kein Haushaltsgeld und ich sehe etwas von der Welt. Ich meine, das kann man doch machen. Zwar ist die ganz Sache verdammt anstrengend, aber was schadet das schon. Dann habe ich wenigstens in ganz kurzer Zeit meine Schulden bezahlt. Das ist doch sehr schön, -- oder? Außerdem habe ich mir aber noch allerhand angeschafft. Das ist auch nicht zu verachten. Na. Ich bin ja so froh darüber. Diesen Monat werde ich noch an einen Schuldner RM 175,-- bezahlen, dann habe ich nur noch einen einzigen Schuldner, allerdings mit einem sehr hohen Betrag von RM 415,--. Das ist sehr viel, aber ich denke, ich habe das in 3 Monaten abbezahlt. Und dann bin ich wieder ganz frei. Dann kann ich endlich endlich daran gehen, mir ein neues Leben aufzubauen. Siehst Du, Robert, sorge immer dafür, dass Du nie auch nur einen Pfennig Schulden machst. Du kommst nie wieder da raus. Du steckst immer bis über beide Ohren in dem Schlamassel drin und schimpfst und kannst doch nichts daran ändern. Im Gegenteil, dadurch geht Dir unter Umständen Dein ganzes Lebensglück flöten. Du hast das beste Beispiel an mir. Wir haben uns beide sehr lieb, aber unsere Ehe wäre an dieser Pleite zugrunde gegangen, wenn nicht wie ein rettender Engel das Militär dazwischen gefunkt hätte. Und nun scheint sich alles wieder ins richtige Geleise zu renken. Wir verstehen uns wieder ausgezeichnet und es bestehen berechtigte Hoffnungen auf ein schöneres und besseres Zusammenleben, wenn der Krieg seinem Ende zugegangen ist und wir wieder Frieden und damit Zukunftsmöglichkeiten haben. So, mein lieber Bruder, das wollte ich Dir erzählen.---

Deine Sachen sind bereits vorige Woche nach Graz abgegangen. Die Balda-Werke schrieben, dass die Sache mit dem Verschluss noch etwa 3 Monate dauern würde, da sie keine Leute hätten. Ich schicke Dir die Karte heute noch zu.

Wie denkst Du Dir die Fahrt Mutters nach München um Dich dort ein paar Stunden zu sehen? Die ganze Sache wird doch ein wahnsinniges Geld kosten. Das lohnt sich doch dann wirklich nicht und außerdem ist das für Uta wirklich zu gefährlich, jetzt schon wieder verreisen. Sie wird das wohl kaum aushalten können. Überleg Dir das noch einmal genau. Und nun Schluss. Herzliche Grüße Dein Schwesterherz
Christa