Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt, 12. November 1941

Köln, den 12. November 1941

Lieber Bruder!

Deinen langen Brief, diesesmal gut leserlich, haben wir erhalten. Vielen Dank dafür. Ich möchte Dir nun ganz kurz daraufhin schreiben.

Ich weiss, das mein Brief nicht sehr nett war. Ich war aber den Tag so ärgerlich und aufgebracht über einen Brief von Mutter, dass ich gar nichts anderes konnte, als mir endlich einmal wieder meine Aerger von der Selle reden. Na, das ist ja vorbei. Ich freue mich nur, dass Du Dich nicht getroffen gefühlt hast, sodass also ein Wunderbarer Krach vermieden worden ist. Also, merci beaucoup, monsieur.!“

Nein, lieber Bruder, Du kannst Dir gar keinen Begriff davon machen, wie wir hier leben. Denk Dir nur einmal folgendes: Gestern war Irmgard eingeladen und war nicht dazu gekommen, vorher einzukaufen. Als ich gestern Abend um ½ 8 Uhr nach Hause kam, hatte ich effektiv nichts zu essen. Ich bin also hungrig zu Bett gegangen. Heute Morgen hatte ich natürlich auch nichts. Also habe ich seit gestern Mittag heute Mittag das erste zu essen bekommen. Da staun’ste, was! Du hast wenigstens immer noch ausreichend zu essen. Aber für uns beide ist das so schwer, das das wirklich keine Seltenheit ist, wenn wir nichts zu futtern kriegen. Na, das sind wir aber nun bald gewöhnt. Wie das jetzt im Winter werden soll, weiss ich allerdings nicht, da ja im Winter die Geschäfte um 6 Uhr zumachen.

Ich bin aber sehr erschrocken, dass Du wieder Magengeschichten hast. Sei um Gottes willen vorsichtig und geh zu einem guten Arzt. Nicht das Du nachher die selbe Schweinerei wie Günther bekommst. Das möchte ich Dir wirklich nicht wünschen. Aber hast Du denn noch gar nichts von Berlin gehört? Du wolltest doch dahin geschrieben haben. Dafür haben wir Dir doch die Adresse besorgt, dass Du endlich aus dem Saustall da raus kommst. Wenn Du die nicht benutzen willst, warum denn nicht? –

Wegen Weihnachten hat Mutter uns gestern geschrieben, dass sie uns für jeden RM 40,-- für die Fahrt geben will. Ausserdem könnten wir bei Deinen Schwiegereltern frei wohnen und verpflegt werden. Wie ich Dich kenne, möchtest Du das aber auch nicht. Wir sind auch nicht damit einverstanden, denn wir können den Leuten nicht einfach 8 Tage auf die Bude rücken. Die haben selber nicht alzuviel. Wenn das Mohrins wären, wäre das ganz etwas anderes – Ausserdem aber ist es ja letzten Endes so, dass die Fahrt für uns doch unerhört teuer wird. Jedenfalls müssen Irmgard und ich dafür einen ganzen Monat schwer arbeiten.

Ausserdem müssen wir uns aber auch überlegen, dass das eine unerhörte Strapaze für uns ist. Denn wir müssen bei den schlechten Fahrtverhältnissen damit rechnen, dass wir allerwenigsten 2 Tage unterwegs sind. Das sind also schon mal 4 Tage Verlust. Da bleibt uns nicht viel übrig. Aber ich werde darüber erst noch einmal genau mit der Irmgard sprechen müssen. Wir wollen noch einmal alles für und wider abwägen und uns dann endgültig entscheiden.

Mohrings haben selber kein Mädchen. Tante Betty muss die ganze Hausarbeit alleine machen.

So, Schluss der Vorstellung für heute. Ich habe gleich Dienstschluss und muss pünktlich beim Zahnarzt sein. Ausserdem bimmelt schon wieder das Telefon.

Herzliche Grüsse und alles Gute und nichts für ungut
Deine Christa