Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt, 28. Mai 1941
28. Mai 1941
Liebes Bruderherz!
Nun bin ich glücklich bei Mutti gelandet. Ich habe sie nicht ganz so überraschen können, wie ich es so vor hatte. Ich habe unterwegs Pech gehabt. Ich hatte meinen Hutkoffer mitgenommen, um in ihm Obst und welches Zeug mitzuschleifen. Ich habe mit Mühe und Not alles unterbringen können. Und unterwegs ist mir prompt der Riemen kaputtgerissen. Was sollte ich machen. Das Biest war unverschämt schwer und ich hatte noch so einen schweren Koffer bei mir. Da habe ich denn von Füssen aus angerufen, sie solle mich in Schwangau mit dem großen Kinderwagen abholen kommen. Sie konnte nicht begreifen, wo ich war, sie fragte immer: Kassel? Na, schließlich hatte sie es dann kapiert und freute sich riesig, das Kleinchen ist ein richtiger Racker geworden. Sie lacht den ganzen lieben
langen Tag. Morgens, sie hat noch nicht richtig die Augen auf, dann will sie schon zur Mumu und zum Hatzi (d. s. Blümchen). Dann nimmt sie ihr Mämä (d. ist ein Entchen) an die Leine, in den anderen Arm ihre Puppa und schiebt los. Unterwegs legt sie beides hin und pflückt Blümchen und sammelt Steine. Es ist zum Schießen. Dann sagte sie eben: „Meine Ma...., nein!“ Sie soll immer meine Mama sagen. Aber wenn sie es soll, tut sie´s ums Verrecken nicht. Und dann singt sie den ganzen Tag. Man kann seine helle Freude an dem Krott haben. –
Und nun zu Dir? Wir haben mit Schrecken vernommen, dass Du im Lazarett mit Scharlach liegst. Aber ich kann mir nicht denken, dass das schlimm ist, denn du hast doch kein Fieber. Bitte Robert, sei so gut und schreibe mir sofort an meine Adresse hierher, wie es Dir geht. Mutter brauch nichts davon zu wissen. Ich fange dann die Post ab. Sie soll sich nicht beunruhigen. Aber ich möchte doch gern wissen, was Du machst!
Also, gute Besserung und alles Gute.
Herzliche Grüße
Deine Christa
Mein lieber, lieber Herzensjunge!
Mit Entsetzen habe ich gelesen daß Du krank bist, und Scharlach haben solltest. Das kann doch nicht sein! Man bekommt doch doch Erkältung, - Angina keinen Scharlach? Schreibe mir doch jetzt bitte, wenn es geht, wie es Dir geht mein liebes Kind! Ich kann es mir aber garnicht denken, denn Bei Scharlach hat man doch ganz hohes Fieber.
Christel hat mich nun sehr angenehm überrascht. Uta kannte die 1. halbe Stunde ihre Mutter nicht. Unterwegs schien ihr doch die Erkennung zu kommen. Sie legte zuerst ganz verschmitzt. Ich hatte ihr beigebracht meine Mama zu sagen. Auf Kommando machte sie es nicht. Aber zu Hause ließ sie sich schon gleich auf den Arm nehmen, und Küßchen geben. Nachher sagte sie von selbst meine Mama. Das Kind hat leider einen furchtbaren Husten, Christel wollte nun gleich nach Füssen zum Arzt, ich sagte aber, der kann auch nichts anderes
geben, ich habe von den N.S.V. Schwestern eine ganz vorzügliche Medizin. Bei Tage geht es. Abends und Nachts fängt die Husterei an. Hoffentlich wird es bald besser. Nun mein liebes, liebes Kind wünsche ich Dir von ganzem Herzen recht gute Besserung. Meine Gedanken sind stets bei Dir. Hoffentlich kommen keine Flieger nach Mannheim, solange Du im Lazaret liegst. Ich muß mich beeilen damit der Brief fertig wird, und ihn nach Schwangau bringen damit mein lieber Junge bald Post von seiner Mutter hat.
Also mein liebes, liebes Kind recht gute Besserung Gruß und Kuß von Deiner treuen immer an Dich denkenden
Mutter u. Utalein.