Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt, 16. Oktober 1941
Köln, den 16. Oktober 1941
Lieber Bruder!
Und nun möchte ich Dir meinen allerherzlichsten Glückwunsch zu Deinem 27. Geburtstag aussprechen. Ich wünsche Dir, dass Du bald wieder Deinem eigentlichen Beruf nachgehen kannst und dass Du dann mit Deiner Frau in einem eigenen Heim hausen kannst. Ich wünsche Dir, dass alle Deine ureigensten Wünsche in diesem kommenden Lebensjahre in Erfüllung gehen und dass Du ein freier glücklicher Mensch sein wirst. –
Ich habe mir erlaubt, Dir mit Irmgard zusammen ein kleines Geschenk zu geben. Ich hoffe, dass es Dir gut gefällt und das Du es in Deinem späteren Haushalt gut gebrauchen kannst. – Du weisst ja, wie schwer das heutzutage ist, jemandem ein Geschenk zu machen, wie es einem richtig passen würde. Aber wir haben uns trotzdem viel Mühe gegeben, Dir Deinem Geschmack entsprechend das Richtige auszusuchen. –
Leider ist es Dir ja nun nicht möglich, Deinen Feiertag in Deiner Familie zu verbringen. Es ist schade, dass Du nun nur unter Deinen Kameraden bist. Vielleicht hast Du aber in der Zwischenzeit jemanden gefunden, dem Du Dich etwas mehr angeschlossen hast. Vielleicht kannst Du also nun doch Deinen Geburtstag ein wenig feierlich begehen. –
Und nun zu etwas anderem. Ich habe also Deinen Brief erhalten. Herzlichen Dank. Es würde mich aber interessieren, ob Du meinen Brief erhalten hast, in dem ich Dir den Kirchensteuerbescheid und die Rechnung, mitschickte. Bitte gib mir doch darüber Auskunft. – Und nun zu Deinem Brief selber. Zunächst möchte ich Dich bitten, schreibe doch bitte ein klein wenig deutlicher. Man kann Deine Sauklaue nähmlich kaum noch entziffern. – So wie Du uns das Zimmer, was Ihr Mutter eingerichtet habt, beschrieben hast, muss es sehr nett sein. Na, da wird die alte Dame sich ja wahrscheinlich wieder richtig sauwohlfühlen, so dass sie überhaupt nicht mehr nach Hause zu kommen gedenkt. Ich muss sagen, wir waren beide ganz entgeistert, als wir von Mutter das Ergebnis ihrer Fahrerei erfuhren. Ich hatte ihr noch am Sonntag telegraphiert, dass sie unter allen Umständen da bleiben sollte, bis wir Weihnachten hin kämen, dann sollte sie mit nach Hause fahren. Und dann bekamen wir Dienstag Mittag nur eine flüchtige Karte mit dem Vermerk, sie führe nach Graz. Fertig! Und dann hörten wir 8 Tage lang überhaupt nichts mehr von ihr. – Weisst Du, Robert, ich war mehr als enttäuscht. Sieh mal, Irmgard und ich hatten uns das so schön ausgedacht, dass wir Weihnachten auf 14 Tage dahin fahren wollten. Ich hatte mir Urlaub ausgebeten. Das habe ich zur Bedingung gestellt, ehe ich hier anfing. Ich sollte dann die Tage nicht bezahlt bekommen, sodass ich also einen schweren materiellen Verlust dadurch erlitten hätte – Aber die Fahrt hätten wir uns eben als Weihnachtsgeschenk geleistet. Wir wollten dann nur kleine Höflichkeitsgeschenke machen. Das andere Geld hatten wir dann ja für die Reise nötig. Und nun kommt uns dieses dazwischen. Wir hatten sogar schon den Termin festgemacht. Irmgard wollte ein paar Tage früher fahren als ich, weil die ja noch länger Urlaub bekommt, als ich. Ja, und nun ist das alles Essig. Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass wir unter diesen Umständen die Fahrt dahin nicht machen können. So sind wir also gezwungen, Weihnachten alleine zu verleben. Wie uns da zu Mute sein wird, kannst Du Dir ja wohl lebhaft vorstellen. Ich habe mein Kind jetzt schon ¼ Jahr nicht mehr gesehen und hatte mich so sehr gefreut, Weihnachten wieder ein paar Tage für sie zu haben. Ich habe jetzt schon angefangen zu hamstern und zu handarbeiten, blos damit ich selbst die Freude habe, das Kind strahlen zu sehen.- Ich kann Mutter nicht begreifen, dass sie blos um ihres eigenen Vergnügens Willen Ihre beiden Kinder hier lässt und dass sie es uns unmöglich macht, ein Weihnachten zu erleben. Und dann gerade dieses Jahr, wo doch Uta gerade dieses Jahr zum allerersten Mal Weihnachten richtig erleben wird. Wo sie
uns doch allen einmal zeigen wird, was das eigentlich noch heisst: Weihnachten feiern. – Ja, so ist die Sache.!
Im übrigen kann ich Mutter aber auch in einem Punkt nicht verstehen. Mutter weiss, dass Irmgard und das ich den ganzen Tag berufstätig sind. Wenn wir jetzt abends spät todmüde nach Hause kommen, dann müssen wir einkaufen, die Wohnung sauber machen und kochen, damit wir überhaupt noch etwas zum essen bekommen. Wie schwierig das unter den jetzigen Verhältnissen ist, kannst Du Dir ja gar nicht vorstellen. Aber daran denkt Mutter ja gar nicht. Sie denkt ja auch nicht daran, dass ich Sehnsucht nach meinem Kind habe. Sie denkt nur daran, dass sie ja hier wieder arbeiten müsste und nicht mehr solch ein Dronendasein führen könnte, wie sie das ja jetzt über ein halbes Jahr gewöhnt ist. –
Im übrigen aber erkenne ich Deine aussergewöhnliche Mühe um Mutter an. Ich finde es sehr nett von Dir, dass Du Dir so grosse Mühe gegeben hast. Mutter wird sich bestimmt vorkommen, als sei sie im siebenten Himmel. Und vor allen Dingen wird das Gefühl, noch besonders schön sein, weil ihr geliebter Junge ihr das alles noch eingerichtet hat. Na, lassen wir der Frau das Vergnügen. –
Bezüglich Deiner Sachen, die wir Dir schicken sollten, verhält sich die Sache nun so. Wir haben auf Deinen Brief hin sofort am nächsten Tag zwei Kisten gekauft und haben alles wohlgeordnet verpackt. Ausserdem haben wir Deinen Schrankkoffer noch voll gepackt. Wir haben also Deine ganzen Siebensachen, also Kleider, Wäsche, Eure Hochzeitsgeschenke, Deine Bücher, die Stoffe zum Beziehen und einige Deiner Akten an die wir gelangen konnte, in die Kisten und den Koffer gepackt. Dann hat Irmgard angerufen, dass die Sachen abgeholt würden. Der Mann kam auch promt, konnte aber ausser dem Koffer nichts mitnehmen, da er nur Sachen bis zu 1 Zentner nehmen dürfte. Er hat uns dann die Adresse gegeben, die das machen. Irmgard ist also persönlich dort hingefahren. Da wurde ihr dann mitgeteilt, dass man dazu erst die Genehmigung einholen müsste. Dann würden die Sachen abgeholt. Sie sind also Anfang dieser Woche abgeholt worden und zwar, als Expressgut. Anders nimmt die Bahn ja nichts mehr an. Ich denke also, dass sie in den nächsten Tagen in Graz eintreffen werden. Die Bettsachen haben wir selbstverständlich auch mitgeschickt. Leider können wir Deine anderen Sachen nicht persönlich mitnehmen, da wir ja nicht fahren werden. Wir werden also in den nächsten Tagen noch ein weiteres Paket oder Kiste fertig machen und werden die dann auch verschicken. Dann hast Du alle Deinen Kram zusammen. –
Was nun die Schuhe anbelangt, so möchte ich Dich bitten, mir doch ein Paar Schuhe Grösse 37 zu organisieren. Ich hätte gerne einen hübschen schwarzen Schuh mit einem hohen Absatz. Ich wäre Dir allerdings sehr dankbar, wenn ich die möglichst bald bekommen könnte, da ich so ziemlich auf dem Hund angelangt bin. Ich hatte gedacht, Irmgard hätte meine Grösse mit angegeben. Sag mal, kannst Du auch irgendwoher Strümpfe bekommen. Guck Dich doch bitte mal um. Wir laufen beide mit Strümpfen herum, die abends gewaschen und morgens gestopft werden, ehe wir sie anziehen könne. Irmgard läuft noch immer ohne. Ich bezahle gerne etwas mehr, wenn man blos welche kriegen könnte.
Wieso fragst Du, was wir zu dem Fall Mutters Schuhe meinten. Ich verstehe das nicht.
Auf die Bilder von Uta freue ich mich riesig. Schicke sie mir doch auf dem schnellsten Wege zu. –
Und nun will ich schliessen. Also nochmals wünsche ich Dir alles alles Gute zu Deinem neuen Lebensjahre. Ich sende Dir die herzlichsten Grüsse
Deine Christa.
Entschuldige bitte die Schmierage. Aber 1. werde ich dauernd gestört und zweitens bockt meine Maschine.