Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt und dessen Frau, 7. Juni 1943
7.6.43
Lieber Bruder! Liebe Emmi!
Für die Bücher und vor allem für den Brief meinen herzlichsten Dank. Ich hatte schon angenommen, dass Ihr gar nichts mehr von mir wissen wolltet, weil Ihr Euch so ganz in Stillschweigen hülltet. Nun, jedenfalls freue ich mich, dass ich jetzt etwas von Euch gehört habe. --
Ich selber habe natürlich unglaublich viel Arbeit. Ich weiss nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll. Es ist-- mit Verlaub zu sagen -- zum Kotzen. Morgens früh im Dienst, Abends spät nach Hause, das ist meine Devise. Das Schlimmste ist, dass ich Abends so spät nach Hause komme, dass ich mir nichts mehr einkaufen kann. Auf diese Art komme ich natürlich um mein nötiges warmes Essen am Tage. Das geht natürlich auf die Dauer nicht und ich muss sehen, diesen ungesunden Zustand zu ändern. Aber bitte, tut mir den Gefallen und schreibt Mutter nichts davon, sonst kriege ich es blos wieder geschimpft. -- Sonst aber geht es mir ausgezeichnet. Ich muss schon sagen, mein neuer Beruf füllt mich voll und ganz aus. Ich bin aber auch mit Leib und Seele dabei. Augenblicklich arbeite ich an der Zusammenstellung einer Sozialkartei. Das macht ungeheure Arbeit, wird mir aber auf die Dauer unendlich wertvolle Dienste leisten. Ich spare mir dann die ganzen Laufereien. Und das ist es, was meinen Dienst manchmal so anstrengend und aufreibend macht, diese verdammten Laufereien. Wenn man den ganzen Tag auf der Strassenbahn zugebracht hat, dann weiss man abends, was man getan hat. – Na, eine Unannehmlichkeit bringt wohl jeder Beruf mit sich und das ist ja noch lange nicht das Schlimmste. Ich habe mich hier von Anfang an gut durchgesetzt und die Leute haben Vertrauen zu mir, was ja für mich unbedingt notwendig ist. sonst kann ich ja gar nicht arbeiten. -- Die Betriebsleitung steht auf meiner Seite und fördert mich, wo sie kann. Der Chef selber hat sich neulich dahingehend geäussert, dass er froh wäre, dass er mich hätte und dass ich sein vollstes Vertrauen genösse. Ich war und bin sehr stolz darauf, denn der Chef ist Würtemberger und die sind schon von Natur aus misstrauisch. --
So, und nun kommt das Allerschönste – in 3 Tagen habe ich Urlaub. d. h., ich fahre am Donnerstag Abend mit dem Schlafwagen bis München und werde einen Tag in München bleiben um mir die Schäden anzusehen. Dann fahre ich am Sonnabend Morgen weiter nach Füssen und bin dann gegen Mittag in Füssen. Na, die Freude könnt Ihr Euch
lebhaft vorstellen. Mutter ist jetzt schon ganz närrisch und zählt die doch dazwischen liegenden Tage. Ich werde dann erst am 26. zurückfahren müssen. Am 28. muss ich wieder im Dienst sein. Wie ich mich freue, brauche ich Euch wohl nichts erst zu sagen. --
Und nun zu Euch. Robert, versuche doch, Deine Reise so aufzuschieben, dass ich wieder in Köln bin. Wir könnten uns doch dann über manches unterhalten und aussprechen, was brieflich ja doch nicht möglich ist. Also, versuche mal, ob das nicht geht. Ich hoffe, dass ich bis dahin auch das Faltboot gekauft haben werde. Die Annonce habe ich in die Zeitung rücken lassen. Mal sehen, was dabei herauskommt. Ich werde dann selbstverständlich sofort Bericht erstatten. Ich habe aber vorläufig nur für das Faltboot annonciert, das andere mache ich nach meinem Urlaub. Bitte, Robert schreibe mir doch einmal, was Du von mir für Geld bekommst. Langsam geht mir nähmlich alles durcheinander. Ich habe in der letzten Zeit viel zu viel Geld ausgegeben. Die Reise nach Füssen hat mich für die 3 Tage alleine 150.-- RM gekostet. Nun könnt Ihr Euch vorstellen, dass ich jetzt gerne einmal meine gesamten Finanzen überschauen möchte. Also, bitte erfülle mir meinen Wunsch. Ich werde Dir dann sofort das Geld anweisen lassen. -- Letzte Woche haben sie mich so herein gelegt. Ich habe ½ Pfund Butter gekauft. Man sagte mir RM 40.-- Ich dachte natürlich für ein Pfund und habe mich über die billige Butter gefreut. Und nachher stellte es sich heraus, dass das ½ Pfund 40.-- kostete. Leider hatte ich mir schon davon genommen sonst hätten sie es auch prompt zurück bekommen. Meine Wut könnt Ihr Euch vorstellen. Aber geschmeckt hat sie mir deswegen doch. –
So, jetzt habe ich aber einen langen Brief geschrieben, der auch für mein langes Schweigen entschädigt. -- Ich hoffe, dass es Euch weiterhin gut geht und bin gespannt auf Eure Mietsache. --
Herzliche Grüsse und alles Gute und hoffentlich bald einmal ein Wiedersehen.
Eure Christa
(Mein Dienstsiegel!)
Soziale Betriebsarbeiterin
der
Forma Fabrik Eugen Doertenbach