Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt, 18. Juli 1943

Köln, den 18.7.1943

Lieber Robert!

Nun habe ich gerade einen Augenblick Zeit. Da will ich schnell doch Deinen Brief ausführlicher behandeln, als ich es gestern auf der Karte tun konnte. Also, zunächst einmal herzlichen Dank für Deinen lieben Brief. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Ja, Du willst wissen, wie es bei uns aussieht. Köln ist nicht mehr. Es ist immer wieder furchtbar durch die Stadt zu gehen und nichts wie Trümmer oder leerstehende Fassaden zu sehen. Von der Innenstadt steht kein Haus mehr. Ich glaube, wenn da noch in der ganzen Innenstadt 50 Häuser stehen, so ist das sogar übertrieben. Um den Dom herum sind die ganzen Hotels und grossen Häuser restlos zerstört. Einzig das Exelsior -–in dem ich augenblicklich wohne, steht noch zum Teil. Wir waten nur durch Schmutz und Deck. An Kleidern besitze ich kaum noch etwas, da bei dem letzten Angriff beide Kleiderschränke ineinandergefallen sind. Alles zerfetzt. Ich weiss nicht, was ich machen soll. Vom Kriegsschädenamt erhalte ich ein Kleid. Darum habe ich mich heute ans organisieren gegeben. Aber viel ist auch nicht dabei herausgekommen. Ja, so ist das. Die Nerven sind natürlich restlos kaputt. Bei dem kleinsten Geräusch zuckt man zusammen. Es ist verdammt kein angenehmes Gefühl, wenn einem der Dreck auf das Haupt fällt. Ich habe nun nur noch Angst um die paar Sachen, die ich im Keller habe. Es wird nämlich gestohlen auf Deubel komm raus. - - - Ich möchte nun zu Deinem Brief Punkt für Punkt Stellung nehmen, damit ich nichts vergesse. Ich bin nämlich ein bischen dof geworden.

In unserer Wohnung sind restlos die Fenster und Türen zerrissen. Ich habe sie einfach zum Teil zum Fenster hinausbefördert. Der andere Teil ist noch so zu verwenden, dass ich sie zum Schutz gegen den furchtbaren Wind an die Türen gelehnt habe. Im übrigen ist die Wand zur Küche vollkommen eingestürzt und die Wände zum kleinen Zimmer und auf der anderen Seite der Küche eingerissen. Ich lebe dauernd in der Gefahr des völligen Einsturzes. Darum bin ich auch in das Excelsior-Hotel gezogen. Es wird ja vom Kriegsschädenamt bezahlt. - - Nun habe ich nur noch Angst um die paar Möbel, die noch zu gebrauchen sind. Das ist das Herrenzimmer und das Esszimmer. Das Schlafzimmer ist zertrümmert. Die Küche ist überall eingerissen und kaum noch gebrauchsfähig. Das Porzellan ist fast ganz kaputt. – So, das ist der Bericht über unsere Wohnung. Wenn Du mir helfen konnt-

est, die Möbel weg zu schaffen, wäre das sehr schön – aber sonst kannst Du hier auch nichts tun. Ich wüsste auch gar nicht, wo du schlafen solltest. Selbstverständlich aber bist du bei mir jederzeit restlos willkommen. - -

Was das Vernichten von Köln anbelangt, so ist da nicht mehr viel zu tun. Wir hier stehen auf dem Standpunkt, dass es wohl kaum einen Ort in Deutschland gibt, der so totsicher ist wie Köln. Allerdings wandern wir abends in den Bunker. D.h., man wird schon wieder leichtsinniger und geht erst, wenn Alarm kommt. Auf die Dauer hält man das nämlich sonst nicht aus. - - Mit einem Gegenschlag rechnen wir hier nicht mehr. Wir sind davon überzeugt, dass der Krieg noch in diesem Jahr zu Ende sein wird. Hier ist eine den Angriffen entsprechende Stimmung. Am besten sagt man hier nicht mehr Heil Hitler!, sonst kannst Du unter Umständen damit rechnen, eine Ohrfeige zu bekommen.- -

Was mein Abhauen von hier anbetrifft, so ist das im Augenblick noch nicht möglich. Ich weiss noch nicht, was aus unserer Firma wird. Das muss ich wenigstens erst abwarten. Ich nehme aber an, dass sich das in den nächsten 14 Tagen entscheidet. – Dann werde ich weiter sehen können und werde mich dann wieder an Dich wenden und Dir Bescheid geben. [...] So und nun will ich schliessen. Ich danke Dir noch einmal recht herzlich für Deinen lieben Brief und grüsse Dich in alter Familienanhänglichkeit

Deine Christa

Bitte, grüße auch Emmi und Deine Schwiegereltern herzlichst von mir. Ich danke für ihre freundliche Sorgen um mich. Es tut gut, zu wissen, daß man doch ein klein wenig an mich denkt. Ich möchte Dich gerne, bald einmal wiedersehen.

 

[Handschriftliche Ergänzungen:]

18.07.1943

Ich habe noch ein Bitte. Anbei liegt mein Testament. Ich habe für den Fall, das mir etwas passieren sollte ein Testament gemacht. Ich möchte Dich als Oberhaupt unserer Familie bitten, es an Dich zu nehmen und es gegebenenfalls im Beisein von Mutter, Irmgard, Uta und Günther zu öffnen. Ich bitte Dich, meinen letzten Willen nach meinem Wunsche durchzuführen. Ich danke Dir. Ich schicke es Dir lieber gesondert zu.

.... Es tut gut, zu wissen, daß man doch ein kleinwenig an mich denkt. Ich möchte Dich gerne, bald einmal wieder sehen.