Christa Lehmacher an ihren Bruder Robert Weichelt, 15. November 1944
Brunnen, den 15.11.1944
Lieber Bruder!
Seit Sonnabend Nacht bin ich jetzt mit der Irmgard in Brunnen. Daß Irmgard jetzt wieder in Köln ist, weißt Du ja. Nun, durch einen dummen Zufall bekam sie Urlaub nach Füssen und da bin natürlich gleich mitgefahren. Leider aber müssen wir morgen frü schon wieder zurück nach Köln. – Wie es in unserem Köln aussieht, davon kannst Du Dir keinen Begriff machen. Es steht jetzt wirklich nichts mehr. Köln ist eine tote Stadt. Es gibt kein Wasser, kein Licht, kein Gas in ganz Köln, schon seit 15.9. nicht mehr. Du kannst Dir also ungefähr denken, wie wir aussehen. In Herkenrath ist jetzt auch schon die erste Mine und Bombe gefallen. Gott sei Dank haben wir nichts abbekommen. Aber von morgens 9-10 Uhr und abends 21-22 Uhr haben wir Alarm; und dann fallen die Bomben, und sie fallen die Bomben: Teppich über Teppich fallen. Es ist zum Verzweifeln. – Aber was kann man da machen, abwarten und durchhalten. –
Durch die furchtbaren Angriffe ist natürlich auch unser gesamter Postverkehr aufgehoben. Deutzer Post ist ausgebrannt. Dadurch bekommen wir keine Post mehr und von uns geht keine mehr raus. Daher mein konstantes Schweigen, was in diesem Falle „verloren gegangen“ heißt. Allerdings habe ich Dir nicht zu Deinem Geburtstag geschrieben. Ich bin nicht der Lage gewesen, da ich zu der Zeit wieder sehr krank war, die schlimmsten Angriffe und die totalgeschädigten Mohrins zu Besuch in meinem kleinen Zimmerchen. Ich bitte also um Entschuldigung. Zu gleicher Zeit aber möchte ich diese Gelegenheit benutzen, um Dir nun endlich aber nicht weniger herzlich alles Gute zu wünschen, viel Glück und Erfüllung mancher Wünsche . Hoffentlich aber sehen wir uns eines Tages alle mal gesund wieder. Das dürfte wohl der größte Wunsch sein.
Und nun nochmals alles Gute und herzliche Grüße
Mutter hat Karte und Brief erhalten.
Sie schreibt morgen.
Deine Christa
Brunnen, den 15.11.44
Liebes Bruderherz!
Du beklagst Dich darüber, Du bekämst von mir keine Post. Hast Du denn meinen Geburtstagsbrief mit dem Buch nicht bekommen? Ich hatte ihn nach Graz geschickt, wie Du mir angegeben hattest? Bitte gib darüber mal Nachricht. Es wäre schade, wenn das Buch verloren gegangen wäre. Ich mache z. Zt. in Bensberg in der Lederfabrik Offermann mein Praktikum. Wo ich ab 1.12. als S.B. hinkomme, weiß ich noch nicht. Das Goslarer Arbeitsamt hatte mir durch die „liebevollen“ Bemühungen von Frau H. in Goslar zugedacht, als Hilfs-
arbeiterin zur Ablösung von Ostarbeiterinnen im Bleiwerk zu arbeiten. Bitte stelle Dir diese Gemeinheit vor. Ich war froh, daß ich, als diese Dienstverpflichtung kam, schon in Bensberg als Praktikantin eingesetzt war.
Von Kurt habe ich seit 19.8. keinerlei Nachricht mehr. Er war zuletzt an der russisch-rumänischen Grenze bei Tighina-Tiraspol. Wahrscheinlich ist er in Gefangenschaft geraten.
Dir und Emmi herzlichste Grüße von Eurer Irmgard.
Herrn Ingenieur Robert Weichelt
12a Wien – Südbahnhof
Postlagernd
Frau Christa Lehmacher
Brunnen bei Füssen / Allgäu (13a)