Christa Lehmacher: Briefe an den Bruder
Die 1919 geborene Christa Lehmacher wohnte in Köln-Klettenberg und verbrachte hier fast die gesamte Kriegszeit. Während dieser Zeit korrespondierte sie regelmäßig, allerdings in oft größeren zeitlichen Abständen, mit ihrem fünf Jahre älteren Bruder Robert Weichelt und dessen Frau Emmi. Robert war als Ingenieur unter anderem in Bad Vöslau, Wien, Graz, Pössneck, Prag, Altes Lager bei Jüterbog und als Sachbearbeiter im Reichsluftfahrtsministerium in Berlin tätig.
Im Juni 1939 hatte Christa Weichelt Günther Lehmacher geheiratet, der schon kurz darauf zur Wehrmacht eingezogen wurde. Nachdem sie nach der ebenfalls 1939 erfolgten Geburt ihrer Tochter Uta beruflich einige Monate ausgesetzt hatte, fand die junge Mutter im April 1940 eine Stellung bei der Kölner Forma-Miederwarenfabrik, wo sie sich von der Anstellung als Sekretärin bis zur Geschäftsführerin hocharbeitete. Parallel zu diesen Tätigkeiten war sie im Sommer und Herbst 1941 offenbar - das geht zumindest aus einem ihrer Briefe hervor - als Transportbegleiterin im Rahmen der Kinderlandverschickung tätig.
Während Christa Lehmacher zunächst eher aus beobachtender Perspektive über Zerstörungen durch Bombenangriffe auf Köln berichtete, war sie seit Mitte 1943 unmittelbar Betroffene. Ausgerechnet am 29. Juni 1943, dem Tag, an dem ihre wenig glücklich verlaufene Ehe geschieden wurde, erhielt auch die Wohnung, die sie nach der Trennung von ihrem Mann gemeinsam mit ihrer Mutter am Gottesweg bewohnte, einen Bombentreffer und wurde erheblich beschädigt, nach einem weiteren Treffer einige Tage später dann völlig unbewohnbar. Während Christa Lehmacher nun im Excelsior-Hotel am Dom unterkam, sorgte sie dafür, dass ihre dreijährige Tochter mit der Großmutter nach Füssen in Bayern evakuiert wurde.
Sie selbst ging weiter ihrer Arbeit nach, auch als die Miederwarenfabrik im Frühjahr 1944 ins rechtsrheinische Herkenrath in der Nähe Kölns verlagert worden war. Dabei versuchte Christa Lehmacher immer wieder, sich für einige Tage freizumachen, um Mutter und Tochter unter erheblichen Reisestrapazen in Füssen einen Besuch abzustatten. Ansonsten, so erzählte sie Tochter Uta nach dem Krieg, habe sie sich – gemeinsam mit Schwester Irmgard – während des Krieges nur einen Luxus gegönnt: Solange die Umstände es erlaubten, ließen sich beide ein Bad ein, legten ein mit Kaffee, Likör, Zigaretten und zwei Büchern beladenes Brett über die Badewanne und nahmen dann gemeinsam ein mehrstündiges Bad. Außerdem putzten sich die beiden Schwestern sonntags heraus und begaben sich - bis zu dessen Zerstörung - zum morgendlichen Kaffee ins Domhotel: kleine Fluchten in einer zunehmend trostloseren Zeit.
Christa Lehmacher schrieb kraftvoll und deutlich. Nachdem das, was sie in der zerstörten Wohnung mühevoll repariert hatte, bei einem weiteren Angriff erneut zerstört worden war, teilte sie ihrem Bruder in klaren Worten mit, dass sie die vergeblichen Wiederaufbauarbeiten einzustellen gedenke, während Robert Weichelt versuchte, ihren Beharrungswillen erneut zu wecken. Sie, die sich 1940/41 gegenüber den Alliierten noch kämpferisch und siegessicher gab, erkannte recht früh, dass der Krieg verloren war. Schon Mitte 1943 schrieb sie, dass mit einem von der Propaganda immer wieder angekündigten „Gegenschlag“ nun nicht mehr zu rechnen sei. Und sie schloss mit ihrem Leben mehrfach ab. So schickte sie zumindest zweimal an Bruder Robert, aber wohl auch an Mutter und Schwester Testamente, mit denen sie insbesondere die Zukunft ihrer kleinen Tochter Uta abzusichern gedachte.
Zum Glück überlebten alle. Im Spätsommer 1945 holte Christa Lehmacher, die weiterhin bei der Forma-Miederwarenfabrik angestellt war, Tochter und Mutter aus Bayern nach Köln zurück. Hier erlebte die neunjährige Uta Lehmacher 1949 den ersten Rosenmontagszug der Nachkriegszeit, von der ihr eine Szene deutlich in Erinnerung geblieben ist: „Wagen gab es damals noch nicht, nur Fußgruppen. Und dann kam ein einzelner Mann, der hatte sich als Adolf Hitler verkleidet: Mit Hitler-Bart und brauner Uniform. Die Leute haben weder gebuht noch geklatscht – alles war plötzlich mucksmäuschenstill.“
Uta Lehmacher dafür, dass sie die Briefe und Fotos ihrer 1989 verstorbenen Mutter zur Verfügung stellte, einen herzlichen Dank.